Wald
Kälte,
eisige feuchte Kälte war das Erste, was Peter spürte, als er wieder zu Sinnen
kam. Sein Rücken schmerzte von der unbequemen Unterlage. Er versuchte
vorsichtig die Augen zu öffnen, aber alles, was er von dem hellen Sonnenschein
geblendet sah, waren bunte gleißende Lichter. Er rollte sich auf die Seite und
merkte dabei, daß er auf feuchtem, mit Laub bedecktem Erdboden lag. Von Ferne
drang ein leises Brausen an sein Ohr. Im Übrigen war es sehr stille. Nach
einigen Sekunden gelang es ihm endlich die Augen zu öffnen, und wie er vermutet
hatte, befand er sich mitten in einem winterlich kahlen Walde. Mit steifen
Gliedern richtete er sich auf und lehnte sich noch etwas benommen an einen
Baumstamm.
Sein
Kopf schmerzte ihn noch ein wenig und er versuchte sich krampfhaft zu erinnern,
wo er sich befand und was er hier zu suchen hatte. Aber sein Gedächtnis war
leer, wie ausgelöscht.
Verschüchtert
blickte er sich um. Ob er vielleicht die Gegend wiedererkannte? Aber dies schien
nicht der Fall zu sein. Mit zitternden Händen fuhr er sich über das Gesicht
und rieb sich die Augen. Dabei bemerkte er, daß er recht schmutzige Hände
hatte, als hätte er in der Erde gewühlt. Er blickte an sich herab. Seine
Kleidung, die aus blauen Jeans, weißen Turnschuhen und einer leichten weißen
Jacke bestand, war ebenfalls recht schmutzig und mit feuchtem Laub behaftet. Er
war keineswegs passend für die Jahreszeit angezogen, was ihn jetzt, da er es
selbst festgestellt hatte, noch stärker frieren ließ.
Neugierig
steckte er die Hände in die Taschen. Aber alles, was er zum Vorschein brachte,
waren einige Münzen, ein Schlüsselbund und ein kleines Taschenmesser. Obgleich
er sich an nichts weiter erinnern konnte, war er doch recht froh, daß er die
Gegenstände alle sogleich erkannte und sie zu benennen wußte.
Er
stand auf. Es dauerte einige Augenblicke, bis das Pochen in seinem Kopf abklang.
Das Schwindelgefühl, das ihn anfänglich sehr irritiert hatte, klang langsam
ab. Unruhig begann er auf und ab zu gehen. Seine Beine waren schwer und steif.
Langsam erst kam sein Blut wieder in Bewegung.
»Ich
muß mich erinnern! Ich muß mich erinnern!« rief er verzweifelt. Er setzte
sich auf einen umgestürzten Baumstamm und begann seine Lage zu überdenken. Er
befand sich irgendwo im Wald und hatte keine Ahnung wie er hergekommen, noch was
er hier zu suchen hatte. Nirgends waren Spuren zu sehen. Das war doch nicht möglich.
Er konnte unmöglich so lange hier gelegen haben, bis sich der Boden wieder geglättet
hatte. Und vom Himmel gefallen war er bestimmt auch nicht. Was um Himmels Willen
war nur mit ihm geschehen?
Nur
mit Mühe gelang es ihm einen Anflug von Panik zu unterdrücken. Alles würde
gut werden. Vielleicht war er gestürzt und hatte sich den Kopf angeschlagen. So
etwas konnte leicht zu einer Gehirnerschütterung führen und auch einen
zeitweiligen Gedächtnisverlust hervorrufen. Erneut mußte er gegen die Angst
ankämpfen. Was wenn er wieder ohnmächtig würde? Bei der Kälte würde er
innert kurzer Zeit erfrieren. Er streckte sich vorsichtig und atmete mehrmals
tief durch. Obwohl er sich noch immer ein wenig unsicher auf den Beinen fühlte,
hatte er doch nicht den Eindruck, schwer verletzt zu sein. Er mußte sie schnell
wie möglich herausfinden, was geschehen war.
Peter
knöpfte seine Jacke zu und schlug den Kragen auf. Er mußte bald irgendeine
Unterkunft finden, denn auf die Dauer würde ihm die Kälte sicher schwer zu
schaffen machen. Nach einem Blick auf den Himmel stellte er fest, daß er am
besten der noch tief am Himmel stehenden morgendlichen Sonne folgen sollte. So würde
er nicht im Kreise gehen und müßte früher oder später irgendwohin gelangen.
Er hoffte allerdings inständig, daß dies eher früher, als später der Fall
sein werde.
Nachdem
er fast eine Stunde lang durch den Wald marschiert war, machte er erschöpft
halt. Er war nicht besonders sportlich und als ein rechter Stubenhocker hatte er
unnötige körperliche Anstrengung stets vermieden. So war es nicht
verwunderlich, daß er schon nach so kurzer Zeit schlapp machte, wie er zu
seinem größten Bedauern feststellen mußte.
»Immerhin
werde ich nicht so schnell verhungern«, dachte er und klopfte sich auf seinen
etwas zu gut gepolsterten Bauch.
Gegen
Mittag wurde es immer schwieriger, den Stand der Sonne durch das Geäst
auszumachen und so wollte es sich Peter gerade auf einem mächtigen umgestürzten
Baumstamm bequem machen, als er in der Ferne zwischen den Stämmen so etwas wie
einen Pfad auszumachen schien. Im Nu war er von frischem Mute erfüllt. Er
sprang auf und wenig später stand er auch schon auf einem schmalen Weg, den man
allerdings eher als einen Trampelpfad bezeichnen müßte.
Er
folgte dem Pfad, der nach einigen hundert Metern langsam breiter wurde und
schließlich zu einer größeren Lichtung führte, in deren Mitte vom kalten
Licht eines grau verhangenen Himmels beschienen, sonderbar behauene Felsblöcke
standen. Irgendwie erinnerte dies Peter an die Ruine eines vorzeitlichen
Tempels, oder vielmehr an die gewaltigen steinernen Monumente der Kelten. In
einem unregelmäßigen Sechseck angeordnet standen große ebenfalls sechseckige
graue Monolithe, die unter einer Schicht von Moos und Flechten über und über
mit geheimnisvollen, fremdartigen Bildern und Schriftzeichen bedeckt waren. Die
Bilder stellten Tiere und Menschen dar, teilweise in kriegerischer Aufmachung.
Womöglich zeugten sie von der Geschichte eines längst untergegangenen Reiches
einer frühen Hochkultur. Im Zentrum des Sechsecks befanden sich die Überreste
einer Art Gebäude: mannshohe Mauern, aus groben aufeinandergetürmten Steinblöcken.
Ursprünglich mußte das kreisrunde Gebäude, das in seinem Grundriß eine vage
Ähnlichkeit mit einem Mausoleum hatte, wohl überdacht gewesen sein; jetzt aber
standen nur noch kümmerliche durchbrochene Mauerreste da. Auf dem Boden, schon
halb versunken, lagen zahlreiche größere und kleinere Steinbrocken und
Mauerreste.
Schon
wollte sich Peter, von archäologischem Interesse gepackt, dem Heiligtum — so
Peters Eindruck — nähern, als ihn ein Geräusch aus der Ferne aufhorchen ließ.
Es klang wie das Wiehern eines Pferdes. Endlich bin ich gerettet, dachte Peter,
als er sogleich die Schritte eines sich nähernden Pferdes vernahm. Er wollte
bereits dem unbekannten Reiter entgegen laufen, aber ein unbestimmtes Gefühl
hielt ihn noch einen Augenblick zurück. Statt dessen versteckte er sich hinter
einem der Monolithen und beobachtete die sich rasch nähernde, zwischen den Bäumen
nur undeutlich auszumachende Gestalt.
Beim
weiteren Herannahen des Unbekannten gewahrte er, daß Pferd und Reiter irgendwie
seltsam und befremdlich aussahen. Vielleicht lag es auch an der fremdartigen
Kleidung und dem prächtigen Zaumzeug, das in der Sonne silbern glänzte und
aussah, wie das von einem Zirkuspferd.
Mittlerweile
hatte sich der Reiter auf etwa fünfzig Schritte genähert und Peter erkannte daß
es sich bei ihm um ein Mädchen in männlicher Kleidung handelte, welches einen
prächtigen braunen Hengst ritt. Seiner Kleidung und Aufmachung nach mußte es
wohl von vornehmer Herkunft sein. Bei den Steinquadern angelangt, hielt es das
Pferd an und glitt geschmeidig herab. Verstohlen blickte es sich um und betrat
forschen Schrittes das Innere der Ruine. Peter, der es nun nicht mehr sehen
konnte, schlich sich, durch das sonderbare Gebaren des fremden Mädchens
neugierig geworden, näher an den Rundbau im Inneren des Monolithenkreises
heran. Wer mochte dies Mädchen sein, das da so wunderlich gekleidet allein auf
einem Zirkuspferd durch den Wald ritt, bloß um ein paar halb verfallene
Mauerreste zu besichtigen? Erwartete es etwa noch jemanden hier? Und warum tat
es so verstohlen? Fragen über Fragen, auf die Peter gerne eine Antwort gehabt hätte.
Vorsichtig lugte er also durch ein Loch in der Wand ins Innere des Gemäuers.
Dort stellte er mit Erstaunen fest, wie das Mädchen vor einem würfelförmigen,
moosbewachsenen Felsblock von etwa einem Meter Kantenlänge, eine Art Altar (?),
stand. Das Wunderlichste aber war, daß in der Mitte des Blockes ein großes,
reich mit Edelsteinen besetztes Schwert steckte, welches aber keineswegs —wie
man etwa annehmen mochte — alt und verrostet war, sondern im Gegenteil von
einem hellen bläulichen Glanze erstrahlte. Der Griff war mit Gold unterlegt und
mit dunkelblauen Steinen besetzt; den Abschluß bildete ein ovaler blutroter
Rubin, der im Knauf eingelassen war. Es sah so prächtig und glänzend aus, als
wäre es nagelneu. Trotzdem schien es bereits seit langer Zeit zur Hälfte in
jenem Steinblock zu stecken. Peter versuchte sich angestrengt daran zu erinnern,
wo er so etwas schon einmal gehört oder gesehen hatte. Es schien ihm nämlich,
als kenne er eine alte Sage, die von einem solchen Schwerte berichtete. Doch im
Augenblick konnte er sich beim besten Willen der Geschichte nicht entsinnen.
Inzwischen
hatte das Mädchen — es schien edler Herkunft zu sein, denn es trug einen
kleinen Degen oder ein Rapier (Peter kannte sich da nicht so genau aus.) in
einer silbernen Scheide am Gürtel — ein zusammengefaltetes Papier zum
Vorschein gebracht, welches es, nachdem es sich nochmals umgeschaut hatte,
vorsichtig entfaltete. Es stellte sich aufrecht vor den Block und begann mit
fester heller Stimme zu sprechen:
»O
Arunbar! mächtiger Beschützer der Aufrechten, vollende das Werk, das du
begonnen. Hilf, die Feinde zu überwinden. Gib das Schwert von Brunnar dem
Starken frei. Oregon Hubero Tal Alel Iabèr. Kommt herbei, all' ihr Gehilfen des
mächtigen Thaël, verleiht mir die Kraft, zu vollenden, was einst begonnen
ward. Laßt mich die Weissagung erfüllen! Felsen wandle dich!!« Mit diesen
Worten ergriff es das Schwert und riß mit aller Kraft an dem Griffe. Der Fels
gab ein Knirschen von sich, aber das Schwert rührte sich keinen Millimeter von
der Stelle. Peter, der hinter seiner Deckung, diesem sonderbaren Treiben zuerst
mit Befremden, dann mit Belustigung zugesehen hatte, konnte sich nun nicht mehr
beherrschen. Kichernd und lauthals lachend trat er in das Rund des Heiligtums
ein und rief:
»Nein
so was! Glaubst du denn ernsthaft, das Ding da mit 'n paar komischen Zaubersprüchen
aus dem Stein ziehen zu können?«
Das
Mädchen, das durch die Wucht seiner eigenen Kraft zu Boden geworfen worden war,
fuhr zusammen. In Blitzesschnelle war es aufgesprungen und starrte den
unwillkommenen Zuschauer mit schreckgeweiteten Augen an. Dann faßte es sich
schnell und sprach mit unverhohlener Feindseligkeit in der Stimme: »Wer hat
dich geschickt, elender Spion?« Seine braunen Augen sprühten förmlich vor
Erregung.
»Sprich,
oder du hast dein Leben verwirkt!« Mit diesen Worten riß es seinen Degen aus
der Scheide und trat raschen Schrittes auf Peter zu. Diesem war inzwischen das
Lachen vergangen. Erschrocken wich er einige Schritte zurück. »Ich fürchte,
hier muß ein Mißverständnis vorliegen. Ich bin kein Spion. Ich bin nur zufällig
hier vorbeigekommen. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben«, sagte er und
warf einen besorgten Blick auf die zitternde Degenspitze, die eindeutig auf
seine Brust gerichtet war. »Ich bin nicht bewaffnet.«
»Um
so besser«, meinte das Mädchen grimmig, »dann habe ich weniger
Schwierigkeiten mit dir!« Es hob die Spitze seines Degens um ein einige
Zentimeter, bereit zuzustoßen.
»Du
bist ja verrückt! Damit kann man jemanden umbringen«, stotterte Peter, der bei
der leichten Berührung mit der stählernen Spitze die Erfahrung machen mußte,
daß es sich keineswegs um ein Spielzeug handelte. Er trat rasch um den
Steinblock herum, so daß dieser zwischen die beiden zu stehen kam. Das Mädchen
kam drohend einige Schritte näher. Voll Schrecken griff Peter, in seiner Not
nach einem Mittel zur Gegenwehr suchend, nach dem Griff des Schwertes im Felsen.
Er packte ihn feste mit beiden Händen und zog mit aller Kraft daran. Der
Felsblock gab ein grauenvolles Knirschen von sich und mit einem scharfen Knall
zersprang er in Tausende kleiner Splitter. Das Schwert glitt mit unglaublicher
Leichtigkeit heraus, so daß Peter rücklings zu Boden purzelte. Er fühlte
einen heißen Schmerz durch seine Hände fahren, der ihn aufschreien ließ. Beim
Aufpralle auf den Erdboden schlug er mit dem Hinterkopf hart auf einen
Kieselstein auf. Für einen Augenblick sah er bunte Sterne, dann schwanden ihm
die Sinne. In den Händen hielt er noch immer fest das Schwert umklammert; das
Schwert von Brunnar dem Starken, welches seit über vierhundert Jahren im
Felsentempel von Arunbar geruht hatte.
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© 2002 FIE. All rights reserved. - Stand: 01. August 2002 04:17 |