Siebentes Kapitel

 

Ein hinterhältiger Plan

 

 

Der Android stand unbeweglich in der Ecke, während Dr. Pillar wie ein verwundetes Raubtier hin und her wetzte. Sein Gesicht war von Wut verzerrt. Von seinen Lippen drangen unverständliche Worte. Es schien beinahe, als spuckte er sie aus, nachdem er sie totgebissen hatte. Seine Hände ballten sich abwechselnd zu Fäusten. Er sah wirklich nicht gut aus. Auf einmal blieb er stehen und wandte sich dem Behälter mit den Psyllion zu, der einige Schritte von ihm entfernt auf dem Boden stand.

»Jetzt bleiben mir nur noch elf Stück. Vorausgesetzt, daß die anderen den Transport alle unbeschadet überstanden haben. Ich hätte nicht gedacht, daß die Kleine mir so viele Schwierigkeiten bereiten würde. Und jetzt hat sie auch noch Verstärkung bekommen. Du mußt sie mir unbedingt vom Leibe halten, ARCON. Solange ich die Psyllion nicht einsetzen kann, bin ich beinahe hilflos. Aber wenn sie sich erst einmal vermehrt haben und wir über genügend willige Helfer verfügen, dann kann mich niemand mehr aufhalten; weder die Sternenkrieger noch diese bedauernswerten Kreaturen, die diesen Planeten bevölkern.«

Er stieß ein irrsinniges Gelächter aus, das jedem halbwegs sensiblen Menschen eine Gänsehaut über den Rücken gejagt hätte. Der ARCON rührte sich nicht. Er nutzte den Wutanfall seines Herrn für eine kurze Regenerationsphase.

»Es ist deine Aufgabe, ARCON, mir ein Dutzend geeigneter Wirte zu beschaffen. Es müssen aber junge, kräftige Menschen sein. Wir wollen doch keine Ausfälle. Mit ihrer Hilfe werden sich die Psyllion täglich verzehnfachen. Sie sind mein Meisterwerk. Ich habe sie so modifiziert, daß sie ihren Wirt nicht gleich töten, sondern seinen Willen brechen und ihn damit empfänglich für meine Suggestionen machen. Sobald wir einen geeigneten Ort für den Sender gefunden haben, werden wir die Kontrolle über die Wirte haben. Wenn sie noch jung und gesund sind und sich nicht zu heftig wehren, dann können sie mehrere Jahre überleben — lange genug um sich selber abzuschaffen. Mit dem Wissen in deinen Datenspeichern werden wir eine neue Menschheit konstruieren. Ein ganzer Planet voller vollkommener, unsterblicher Androiden: Das wird mein Meisterwerk sein. Heute beherrsche ich diese Stadt, morgen den ganzen Planeten und bald wird mir die gesamte Interplanetare Union untertan sein.«

Er ergriff den Behälter und gab dem Androiden ein Zeichen, ihm zu folgen.

»Als erstes müssen wir uns ein neues Laboratorium verschaffen. Am besten wäre ein Ort, wo wir genügend Platz haben und trotzdem völlig ungestört sind; wenigstens für die nächsten zwei Tage. Gehe jetzt und suche ein geeignetes Versteck, am besten außerhalb der Stadt, wo nicht viele Leute hinkommen. Ich werde in der Zwischenzeit mit den Vorbereitungen für den Sender beginnen.«

Als der ARCON den schmutzigen, halb verfallenen Kellerraum verlassen hatte, in dem sie vorübergehend Unterschlupf gefunden hatten, setzte der Doktor sich auf einen wackeligen, schon ziemlich morschen Stuhl, der unter seinem Gewicht bedenklich knarrte und sich nach allen Seiten verbog.

Sein schmales, fast ein wenig hageres Gesicht war von einem unbeschreiblichen Ausdruck gezeichnet. Sein kurzgeschnittenes, ehemals kastanienbraunes, jetzt an den Schläfen und Seiten mehrheitlich graues Haar war zerzaust und einige Strähnen hingen ihm in die Stirn. Aber das schien ihn nicht zu stören; genausowenig wie der Zustand seiner Kleidung, die auf der Flucht ziemlich gelitten hatte.

Die langen Jahre, die er in der Heilanstalt und auf der Flucht verbracht hatte, hatten ihn gezeichnet. Nachdem er als der Schuldige für die verheerende Explosion in dem Forschungslaboratorium auf M 31 erkannt worden war, hatte es für ihn nur einen Ausweg gegeben, dem Arbeitslager zu entkommen: er mußte den Wahnsinnigen spielen. Drei Jahre lang war es gut gegangen und er hatte in dem komfortablen Sanatorium auf F XLIII bequem und unbehelligt gelebt, als ihm eines Tages ganz unvorbereitet mitgeteilt wurde, daß sein Fall neu bewertet worden sei und man ihn für voll schuldfähig erkannt habe und daß seine Überführung auf Patallar beschlossen sei.

Von dem berühmt-berüchtigten Strafplaneten P XXIV gab es kein Entkommen; es sei denn, man besaß viel Geld oder hatte einflußreiche Freunde, die etwas arrangieren konnten.

Pillar saß mit gesenktem Kopf auf dem vermoderten Stuhl in dem vermoderten Raum und betrachtete seine Hände mit ihren langen, kräftigen Fingern.

Zehn Jahre lang hatte er für die verbrecherische Regierung der IPU gearbeitet, hatte auf einer schlecht ausgestatteten, abgelegenen, geheimen Forschungsstation neue Androiden entwickelt. Jahrelang hatte er mit ansehen müssen, wie manch einer seiner unfähigen Assistenten befördert und auf eine andere, modernere Station versetzt worden war, während er immer noch in der selben Besoldungsklasse schuftete.

Aber dann, eines Tages, war ihm die Erleuchtung gekommen. Auf einmal wußte er, wie die so lange gesuchte Schaltung zu konstruieren sei. Mit dieser Erfindung wäre er in der Lage, Elektronengehirne zu bauen, die den menschlichen ebenbürtig sind. Der Auftrag der Sternenflotte, einen neuen, modifizierten Kampfandroiden zu konstruieren kam ihm da gerade recht. Dies war die Gelegenheit, zu beweisen, was seine neue Erfindung leisten konnte. Aber diese Erfindung würde er mit niemandem teilen, schon gar nicht mit einer korrupten, unfähigen Regierung. Nein, der neue ARCON sollte nur ihm selber dienen.

Eine Explosion im Laboratorium, welche die ganze Station verwüstete, gab ihm die Gelegenheit, alle Konstruktionspläne und Daten verschwinden zu lassen, und natürlich das Wertvollste: den Prototypen des neuen ARCON.

Jetzt war alles bereit, mit Hilfe des ARCON gelang es ihm ein Rettungsschiff, welches zur Evakuierung der zerstörten Station geschickt wurde, zu kapern und sich auf die Suche nach einer äußerst gefährlichen Lebensform zu machen, welche er vor vielen Jahren während seines Studiums an der IPU-Akademie der Naturwissenschaften einst hatte kennen lernen: die Psyllion. Sie lebten auf einem einzigen Planeten außerhalb des Unionsraumes.

Nach über sechs Monaten hatte er es geschafft: die Psyllion und der ARCON waren in seinem Besitz. Jetzt galt es, sie vor dem Zugriff der Union in Sicherheit zu bringen. Während er in dem Sanatorium dem Tag seiner Entlassung entgegen fieberte, lagerten der ARCON und die konservierten Psyllion, nur wenige Kilometer von der Heilanstalt entfernt, in einem Lagerhaus, in dem er sich unter einem falschen Namen eingemietet hatte. Der ARCON war von ihm programmiert worden, sich an einem bestimmten Tag selbst zu aktivieren.

Aber seine Verlegung nach Patallar hatte alle seine Pläne durchkreuzt. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich unvorbereitet auf die Flucht zu machen. Ein uraltes Versorgungsschiff diente ihm als Vehikel zur Flucht. Während einem halben Jahr war es ihm gelungen, den Patrouillen der Sternenflotte auszuweichen, aber das Schiff war alt und irgendwann ging mehr kaputt, als er innert dienlicher Zeit ohne Ersatzteile reparieren konnte.

Er war gerade auf dem Weg nach der Raumstation A 51, die eine der ältesten und am schlechtesten verteidigten war, aber durch einen dummen Zufall war er von der Spezialeinheit der Sternenflotte aufgespürt und eingefangen worden. Der ARCON und die Psyllion sollten in der Hochsicherheitszone auf Patallar untersucht werden. Dies schien dem Sternenflottenkommando der einzige Ort zu sein, wo diese gefährlichen und unberechenbaren Kreaturen ohne Gefahr für die Zivilisation erforscht werden konnten. Natürlich war das Militär an dem Androiden besonders interessiert. Man hoffte, dem Geheimnis der neuartigen Mikrochips auf die Spur zu kommen.

Dr. Pillar stand auf. Er ballte die Hände zu Fäusten. Nein! An die Vergangenheit wollte er keinen Gedanken mehr verschwenden. Er befand sich hier auf einem reichen und fruchtbaren Planeten außerhalb des Unionsraumes. Wenn es ihm erst einmal gelungen wäre, die Macht an sich zu reißen, dann hätte die IPU keine Möglichkeit mehr zur Intervention, denn einer der obersten Grundsätze war es, sich nicht in die inneren Angelegenheiten fremder Welten einzumischen.

 

In dem großen fensterlosen Raum herrschte ein ständiges grünliches Zwielicht. An einem Dutzend kreisrunder Bildschirme saßen junge Männer in blauen Uniformen. Es herrschte ein reger Betrieb in der Kommandozentrale der Luftraumüberwachung Südost.

Außer den Radarschirmen, welche in einem offenen Kreis in der Mitte des Raumes angeordnet waren, befanden sich weitere Tische und Konsolen mit Computermonitoren an den Seitenwänden. An einer riesigen Leuchttafel waren mehrere Karten und Luftaufnahmen festgeklemmt.

Normalerweise ging es zu dieser Tageszeit eher ruhig und entspannt zu, denn nach Einbruch der Dunkelheit fanden in der Regel keine Aufklärungs- oder Übungsflüge mehr statt. Heute aber schien sich die ganze Mannschaft der Nachtschicht und weitere Offiziere und Techniker, welche eigentlich gar keinen Dienst in der Zentrale hatte um einen einzigen der Schirme versammelt zu haben.

»Wir müssen den Hauptmann verständigen«, sagte der verantwortliche Leiter der Schicht.

»Was sollen wir dem erzählen? Daß wir ihn wegen einer angeblichen Fliegenden Untertasse mitten in der Nacht aus dem Bett holen? Der würde uns den Kopf abreißen«, erwiderte ein anderer.

»Reicht es nicht, ihm morgen früh die Aufzeichnung zu zeigen?« fragte ein dritter.

»Vielleicht haben Sie Recht, Korporal.«

Der Diensthabende nahm das Band mit der Aufzeichnung aus der Computerkonsole, beschriftete es mit einem Filzstift und legte es in den Korb mit der Aufschrift Dringend.

Nach und nach verlief sich die Menge wieder. Die, begaben sich in ihre Unterkunft zurück und die Techniker, welche an den Geräten keine Störung hatten feststellen können, packten ihre Werkzeuge und Geräte wieder ein und empfahlen sich, nicht ohne einige unfreundliche Bemerkungen vor sich hin zu brummen; schließlich war es bereits nach elf Uhr nachts.

»Man könnte meinen, ein Dutzend Atomraketen sei auf dem Weg zu uns, so einen Aufstand haben die gemacht. Wahrscheinlich war es nur ein Meteorit oder ein abgestürzter Wetterballon«, mutmaßte einer der Techniker und sah seinen Kollegen mit einem vielsagenden Blick an.

Während dem Rest der Nacht geschah nicht mehr viel. Am darauf folgenden Morgen aber wurde einem jungen Aufklärungsoffizier gehörig der Kopf gewaschen.

»Wieso hat mich niemand verständigt?« brüllte der Hauptmann, dessen Gesicht eine dunkelrote Farbe angenommen hatte, als er den Ereignisbericht der Nachtschicht bekommen hatte. Der diensthabende Leutnant wurde in aller Eile zum Rapport herbei zitiert.

»Ich verlange einen sofortigen und detaillierten Bericht darüber, was sich in der Nacht ereignet hat«, befahl der Hauptmann dem stramm stehenden Leutnant.

»Es war gegen zweiundzwanzig Uhr dreißig, als auf dem Schirm 4 des neuen Systems ein kleiner Lichtfleck sichtbar wurde, der sich in einer elliptischen Flugbahn aus großer Höhe mit hoher Geschwindigkeit der Erde genähert hat. Auf einhundertzehn Metern über Grund verschwand das Objekt vom Schirm. Es gab keinerlei Erkennungssignal. Es wurden keine Funksprüche aufgezeichnet. Die Erscheinung tauchte in einer Höhe von ungefähr dreitausend Metern bei dieser Position auf und verschwand dort«, er deutete auf zwei rot markierte Punkte auf der Landkarte.

Der Hauptmann verglich die Landkarte mit den Luftaufnahmen des betreffenden Gebietes. Dienstfertig reichte der Leutnant ihm ein Vergrößerungsglas, welches er grunzend entgegen nahm.

»Das ist ein unbebautes Gelände, am südlichen Stadtrand. Das Gelände ist leicht hügelig und daher für eine Landung nicht geeignet. Außerdem ist das Objekt bis jetzt nicht mehr aufgetaucht. Wir nahmen daher an, daß es sich entweder um eine Fehlanzeige oder eine Fehlfunktion des Gerätes handelt; immerhin ist es noch in der Erprobungsphase…«, gab der junge Leutnant zu bedenken. »Ich habe sofort den technischen Dienst verständigt, der das Gerät überprüft hat — ohne Befund.«

»Ich verlange eine Computeranalyse der Daten mit Priorität zwei. Außerdem befehle ich Ihnen strengstes Stillschweigen über alle Wahrnehmungen gegenüber jedermann. Ist das klar?«

»Jawohl, Herr Hauptmann!«

Eine Stunde später, als der zwei Zentimeter dicke Computerausdruck auf seinem Schreibtisch lag, runzelte der Hauptmann die Stirn. Er war unschlüssig, ob er es tun sollte. Entweder machte er sich lächerlich und das wäre jetzt, wo überall von Einsparung die Rede war, seiner Karriere nicht besonders zuträglich, oder aber, wenn er mit seiner Einschätzung richtig lag, könnte er mit einer Beförderung geradezu rechnen.

Der Hauptmann griff zum Telefonhörer und wählte eine fünfstellige Nummer.

»Verbinden Sie mich mit Abteilung A, Oberst Morris, bitte«, sagte er und blickte zum Fenster hinaus, wo eine bleiche Frühjahrssonne gerade die letzten Bodennebel über dem riesigen Flugfeld verscheuchte.

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