Zauberei
Beim
ersten Tageslicht sattelten sie ihre Pferde. Wilo wollte die anderen noch ein Stück
Weges begleiten, bevor sich ihre Wege endgültig trennten. Der Abschied von den
Dorfbewohnern war ein inniger und langer, und eine Zeitlang schien es, als würden
die Menschen sie gar nicht mehr ziehen lassen. Eine große Menschenmenge
begleitete die Reiter zu Fuß bis an die Grenzen der Gemeinde.
Nicht
lange danach gelangten sie an eine Weggabelung. Wilo hielt sein Pferd an und
stieg ab. »Jetzt ist es wohl so weit«, sagte er. Die anderen taten es ihm
gleich. Peter schüttelte dem Freund die Hand und wünschte ihm alles Gute.
Tamina und Alissandra umhalsten ihn herzlich.
»Lebt
wohl und ärgert mir den armen Peter nicht zu sehr«, rief er ihnen zu. Dann
schwang er sich rasch auf sein Roß und fort war er im Galopp.
»Kommt
jetzt! Wir machen uns besser ebenfalls auf den Weg. Vielleicht sind wir bis zum
Mittag schon dort«, sagte Peter, dem lange Abschiede ein Greuel waren.
Auf
der neuen Landstraße kamen sie rasch voran. Zwar ging es ab jetzt bergauf, aber
die Pferde waren noch frisch und trabten willig vorwärts.«Seht ihr den
Felssturz dort oben?« rief Alissandra und deutete mit der ausgestreckten Hand
in die Richtung. »Dort oben über den Baumwipfeln. Dahinter liegt eine Ebene,
die gleich an den Garten von Callidons Haus anstößt. Von dort oben hat man
einen herrlichen Blick über das ganze Tal. Bei schönem Wetter kann man sogar
das kleine Felsengebirge sehen.«
»Woher
weißt du das alles? Du warst doch nie dort, oder?« wunderte sich Peter.
»Callidon
hat das Häuschen und den Garten in seinen Briefen an Onkel Arlin genau
beschrieben. Und natürlich auch die Aussicht vom Berg. Seht ihr den Hügel
dort? Links dahinter — man kann es von hier nicht sehen — , muß sich ein
kleines Dorf befinden. Es sind nur einige Häuser und Bauernhöfe. Auf der
rechten Seite fließt ein Bach. Wenn wir ihm folgen, gelangen wir auf einen
Pfad, der durch den Wald auf die Bergkuppe führt.«
Alissandras
Beschreibung traf zu. Sie folgten dem Bachlauf bis zu einem schmalen Waldpfad,
der gerade breit genug war, daß ein Pferd sich zwischen dem Unterholz durchzwängen
konnte. Der Wald wurde allmählich dichter, so daß sie absteigen und die Pferde
führen mußten, wenn sie nicht riskieren wollten, mit dem Kopf an irgend einem
herabhängenden Ast hängen zu bleiben. Auch die Pferde hatte Mühe, sich einen
Weg zu bahnen. Für Tiere, die für ein Leben auf weiten offenen Steppen gemacht
sind, ist ein dicht bewachsener Wald nicht gerade ein angenehmer Ort. Es kostete
die drei Reiter einige Überzeugungskünste, ihre Rosse durch das, zu dieser
Jahreszeit besonders dicht wuchernde Geäst zu lotsen.
»Könnten
wir nicht eine kleine Rast einlegen?« keuchte Peter und wischte sich den Schweiß
von der Stirn. Es ging gerade ziemlich steil bergauf.
»Es
ist nicht mehr weit. Wir sind gleich oben«, sagte Alissandra. Der Weg wurde
noch steiler. Zwischen den Bäumen lagen große, von Moos und Flechten teilweise
überwucherte Kalksteinfelsen.
Endlich
begann sich der Wald zu lichten. Sie hatten die Bergkuppe erreicht. Das obere
Ende des Berges erwies sich als eine halbwegs flache Ebene von etwa vierhundert
Metern im Quadrat. Einen großen Teil davon nahm eine grüne, leicht abschüssige
Wiese ein, auf der eine kleine Schar wolliger Schafe friedlich weidete.
»Dort
ist ein Haus!« rief Tamina plötzlich. Von einem Haus war freilich noch nichts
zu sehen, aber beim genauen Hinsehen konnte man am Horizont über der Wiese eine
dünne Rauchsäule gen Himmel steigen sehen.
»Du
hast recht. Jetzt erkenne ich den Schornstein.« Alissandra stieg auf ihren
Wirbelwind und trieb ihn eilig auf das Haus zu.
Callidons
Haus war ein kleines Häuschen mit einem steilen Dach. An der einen Seite war
ein zierliches Türmchen angebracht, welches den Giebel um einige Meter überragte.
Rings herum erstreckte sich ein hübscher Garten, der mit duftenden Frühlingsblumen
bestückt, in den prächtigsten Farben erstrahlte. Seitlich und hinter dem Haus
ging der Blumengarten in einen ordentlichen Küchen- und Kräutergarten über,
dessen sauber abgegrenzte Beete die reiche Ernte des Sommers erahnen ließen.
Sie
stiegen ab und banden die Pferde am dem schmucken weißen Gartenzaun fest, der
das zierliche Anwesen umgab und erst kürzlich frisch gestrichen worden war. Das
niedere Gartentor stand einladen offen. Ein kiesbestreuter Weg führte
geradewegs zu einer leuchtend rot gestrichenen Tür, die sich dekorativ von der
weiß getünchten Fassade mit den grünen Fensterläden und dem hellen
Ziegeldach abhob.
»Meister
Callidon!« rief Alissandra aufgeregt. »Meister Callidon! Seid Ihr zu Hause?«
Sie lief auf die Tür zu und wollte gerade nach dem eisernen Ring greifen, als
sich die Tür auftat. Ein hochgewachsener, weißhaariger Greis stand im Rahmen
und blinzelte mit zusammengekniffenen Augen gegen die Sonne. »Fräulein
Alissandra, seid Ihr es?« — »Ja, ich bin’s wirklich!« Alissandra ergriff
die Hand des Alten und drückte sie heftig.
»Alissandra,
Kind. Du bist es wirklich. Was bist du groß und erwachsen geworden. Laß dich
anschauen!« Peter, der mit Tamina am Gartentor stehen geblieben war,
betrachtete den würdigen Greis aufmerksam. Trotz seines schneeweißen Hauptes
und dem ebensolchen Barte, der jedem Weihnachtsmann zur Ehre gereicht hätte,
wirkte die schlanke, drahtige Gestalt, sonderbar jung, beinahe jugendlich. Es
war unmöglich, Callidons Alter zu schätzen. Er hätte ebenso achtzig wie fünfzig
sein können. Dies also war der berühmte Callidon, der Magier und Philosoph. In
der Tat hatte der Mann etwas merkwürdiges an sich. Es dauerte eine Weile, bis
Peter bemerkte, daß es an der Kleidung des Mannes lag. Sie war nicht arkanisch.
Vielmehr sah er aus, wie man sich einen Gelehrten aus dem Mittelalter vorstellte
— gleichwohl der Anzug nicht wirklich historisch war, er wirkte nur so.
Callidon trug einen langen, hochgeschlossenen, wadenlangen Rock von
dunkelblauem, schweren Stoff, der an Kragen und Saum mit einer schmalen
Pelzborte besetzt war. Darunter leuchtete ein steifer weißer Hemdkragen hervor.
Die Ärmel waren weit und hatten lange Stulpen.
Alissandra
hatte ihre Begrüßung inzwischen beendet und trat zu Peter und Taminen. »Meister,
das hier sind meine Freunde Peter und Tamina.«
Tamina
machte einen schüchternen Knicks während Peter eine höfliche, aber ein wenig
steife Verbeugung andeutete.
»Seid
gegrüßt, ehrwürdiger Herr!« Dies war die landesübliche Anrede eines Mannes
von Callidons Alter und Stand. Callidon trat auf Peter zu und musterte ihn
scharf aus blaßblauen, durchdringenden Augen.
»Du
also bist der berühmte Prinz von Arkanien«, sagte er. »tretet ein, ich habe
euch bereits erwartet.« Sanft schob er die Staunenden ins Innere des Hauses.
Drinnen
war das Haus, so schien es Peter, viel größer, als es äußerlich den Anschein
machte. Im Erdgeschoß befanden sich die Küche, das Speisezimmer und ein gemütlich
wirkender altmodischer Salon, der eigentlich vom Stil der Ausstattung und Möblierung
her nicht ins südliche Arkanien zur Zeit des Regenten Tiras paßte. Im ersten
Stock lagen ein geräumiges Badezimmer, das Schlafzimmer Callidons, sowie zwei
weitere Gästezimmer, wo Callidon Peter und die Mädchen unterbrachte. Es waren
drei Betten hergerichtet und frisch bezogen worden, als hätte er genau gewußt,
welche Gäste ihn heute beehren würden. Peter fand es beinahe unheimlich, wie
er Alissandra heimlich zuraunte. Sie aber lachte nur und meinte, Callidon sei
eben ein Weiser, der die Zeiten der Vergangenheit ebenso erforscht hätte, wie
jene der Zukunft. Mit dieser rätselhaften Bemerkung, mit der Peter wenig
anfangen konnte ließ sie ihn stehen und folgte Callidon in ihr neues
Schlafzimmer. Peter hingegen beschloß, diesem geheimnisvollen Alten bei
Gelegenheit näher auf den Zahn zu fühlen.
Oben,
unter dem Dach befanden sich das Studierzimmer des Weisen, wo eine kleine Tür
zu dem angebauten Turm führte. Diese Räume bekamen die drei aber nicht zu
sehen, ebensowenig, wie das alchimistische Laboratorium, das irgendwo im Keller
lag; vielmehr gab Callidon den dreien zu verstehen, daß er diese Räume als
sein Heiligtum betrachtete, das zu betreten nur ihm allein oblag. Dabei blickte
er Peter besonders scharf an, der den Blick aber herausfordernd erwiderte.
»Was
er da wohl treibt? Vielleicht versucht er Blei in Gold zu verwandeln oder er
erzeugt kleine Männlein, die er in Glaskolben hält«, meinte Peter leise
spottend zu Taminen. Leider nicht leise genug, denn Callidon, obgleich er in
einiger Entfernung stand, schien seine Worte vernommen zu haben und sprach zu
Peter: »Nein, mein junger Freund, weder das eine noch das andere; obzwar ich in
meiner Jugend von derlei Versuchen viele ausgeführt habe. — Hütet euch
dennoch davor, diese Räume in meiner Abwesenheit zu betreten und rührt um
Himmels Willen nichts an! — es könnte gefährlich sein — sehr gefährlich«,
setzte er geheimnisvoll hinzu.
»Sag’s
mir, wenn du irgendwo eine schwarze Katze oder einen sprechenden Raben findest«,
sagte Peter zu Alissandra, nachdem er sich vergewissert hatte, daß Callidon
diesmal nicht in der Nähe stand. Callidon führte sie durch Haus und Garten.
Letzterer hatte es Tamina besonders angetan. Neben prächtigen Blumenbeeten im
Vorgarten, erweckten die ungeheure Vielfalt an Küchenkräutern und Heilpflanzen
im Nutzgarten ihre Bewunderung. Sie selber hatte zu Hause einiges an Zeit und Mühe
darauf verwandt, die für die Wirtshausküche benötigten Kräuter und Gewürze
heranzuziehen und konnte daher gut ermessen, wieviel Aufwand und Pflege hinter
den unscheinbaren Beeten stand.
»Ich
habe in meinem Laboratorium und im Turm noch mehr Pflanzen in Töpfen und Kübeln.
Es sind seltene Exemplare auf fernen südlichen Ländern, welche die rauhe Luft
und den Frost nicht vertragen. — Jetzt müßt ihr euch aber erst einmal von
der langen reise ausruhen und stärken. Viel kann ich euch im Augenblick nicht
anbieten, aber nach Mittag will ich unten im Dorf einiges für ein leckeres
Abendessen einkaufen gehen.«
»Kann
ich mitkommen und Euch beim Tragen helfen?«
»Ja,
danke Tamina. Das ist lieb von dir.«
Peter
trug das Gepäck ins Haus, derweil Alissandra die Pferde versorgte. Hinter dem
Haus stand ein Stall, in welchem ein kleiner grauer Esel und zwei schwarze
Ziegel untergebracht waren. Mit den drei Pferden wurde es ziemlich eng, aber bei
dem schönen, milden Wetter konnte man sie auch über Nacht im Freien weiden
lassen.
Tamina
half in der Küche und deckte den Mittagstisch. Das Essen bestand aus einem köstlichen
Eintopf, dazu gab es geräucherten Schinken und einen wunderbar duftenden
Apfelkuchen. Alissandra war ganz begierig darauf, Callidon alles zu erzählen,
aber dieser bestand darauf, daß sie zuerst etwas essen müsse. Zum Erzählen
sei später noch genug Zeit; überhaupt sei sie so dünn und lang geworden, daß
es fast nicht schicklich sei. Aber er versprach, sie bald wieder aufzupäppeln.
Peter lächelte still vor sich hin, bei dem Gedanken, wie sie nach einigen
Monaten guter Kost wohl aussehen würde.
»Mädchen,
wie bist du nur angezogen! So ganz in Hosen und Stiefeln, gerade wie ein Kerl.
Ich erinnere mich noch an das hübsche rosa Kleid, welches du an deinem
Geburtstag trugst. So etwas sollte eine hübsche junge Dame tragen.« Alissandra
lächelte höflich, während Peter und Tamina einander grinsend vielsagende
Blicke zuwarfen. Alissandra in einem rosa Kleid — welch ein Anblick!
Ȇberhaupt
seht ihr recht mitgenommen aus, aber ich glaube, ich habe da etwas passendes für
euch.«
Nach
dem Essen mußte Callidon sich ein wenig zur Ruhe begeben. Peter und Alissandra
kümmerten sich um das Geschirr. Und es gelang ihnen tatsächlich, alles
abzuwaschen, abzutrocknen und in den Schrank zu stellen, ohne ein einziges Stück
zu beschädigen.
Ȁh,
Peter?«
»Ja?«
»Ich
habe dich beobachtet, als Callidon vorhin über die Kleider sprach —.«
»Ja,
und?«
»Findest
du auch… — ich meine — sollte ich wirklich so ein langes Kleid tragen?«
Peter
lächelte. Am liebsten hätte er ihr gesagt, sie sollte lieber ein kurzes
Kleid anziehen, verkniff sich aber diese Bemerkung. Statt dessen antwortete er:
»Naja,
ich denke, blau steht dir besonders gut. Es paßt zu deinem Haar. Besonders,
wenn du es so trägst, wie an unserem ersten Abend im Schloß.«
»Das
ist aber sehr aufwendig. Aber mal sehen. Ich denke, ich nehme nachher ein schönes,
heißes Bad. Callidon hat eine riesige Badewanne aus echtem Kupfer. Die könntest
du übrigens ruhig auch mal benutzen.« Sie grinste hämisch.
»Was
soll das heißen? Willst du damit etwa andeuten, daß ich stinke?« rief Peter
erbost.
»Nicht
mehr als ein Hengst«, antwortete sie frech.
»Na
warte…« Aber Alissandra war wieder einmal flinker. Peter versuchte unauffällig
an sich zu schnuppern. Ein leichtes Aroma von Pferd ließ sich nicht leugnen.
Aber das war doch ganz normal, wenn man den ganzen Tag auf einem Gaul saß.
Während
die Mädchen ihr Zimmer einrichteten, stöberte Peter ein wenig in dem hause
herum. Die Räume im Erdgeschoß waren recht einfach, aber schön und edel
eingerichtet. Die Wände waren bis in halber Höhe mit dunklem Holz getäfelt.
Der Fußboden bestand aus Steinfliesen und aus einfachen Dielen und war zuweilen
mit bunten geflochtenen Matten und einfachen Webteppichen ausgelegt. An der Wand
zwischen dem Speisezimmer und dem Salon war ein riesiger Kachelofen so
angebracht, daß er beide Räume zugleich beheizte. Die Fenster waren verhältnismäßig
groß, was bei dem milden Klima im Süden häufiger anzutreffen ist, als in den
nördlicheren Gegenden. Die Scheiben waren klein und in Blei gefaßt. Das
Mobiliar war eher einfach gearbeitet, dafür war es von massiver Qualität und
machte einen soliden Eindruck. Die Schränke waren riesig, die Tischplatten hätten
einen Elephanten getragen und die Stühle waren so schwer, daß man sie kaum
heben konnte. Im Großen und Ganzen aber wirkte das Haus gut bürgerlich und
machte keineswegs den Anschein eines Hexenhauses, oder einer
Alichimistenwerkstatt.
»Ich
frage mich, was für eine Art von ,Zauberer’ dieser Callidon ist«, dachte
Peter. Vielleicht sah die Studierstube ,magischer’ aus. Wenn der Alte ins Dorf
gegangen war, könnte er vielleicht einen Blick riskieren.
Vorläufig
mußten seine Erkundungspläne aber zurückstehen, denn Callidons Mittagsschläfchen
zog sich in die Länge. Endlich ging die Tür seines Schlafzimmers auf und der
freundliche Alte rief die jungen Leute zu sich.
»Seht
mal, was ich für euch habe«, sagte er und trug einige Kleidungsstücke herbei,
die er einer Truhe vor seinem Bett entnommen hatte.
Tamina
erhielt ein langes hellblaues Kleid aus schimmernder Seide, mit dazu passenden Bändern.
Die Kleine war ganz außer sich vor Freude. Zuerst wagte sie das kostbare
Geschenk gar nicht anzunehmen, und Callidon mußte sie davon überzeugen, daß
es für ihn eine Kleinigkeit war, dergleichen herbeizuzaubern. »Es ist einfach
unglaublich. So etwas schönes habe ich noch nie besessen«, rief sie mit glühenden
Wangen.
Für
Alissandra hatte Callidon ein ähnliches Kleid aus dunkelblauer Seide, mit weißen
Perlen und glitzernden Steinen besetzt. Das Kleid war eine Pracht, ein
Kunstwerk. Peter konnte es kaum erwarten, sie darin zu betrachten, zumal es über
ein, für arkanische Verhältnisse recht gewagtes Décolleté verfügte.
Zuletzt
war Peter an der reihe, neu eingekleidet zu werden. Was Callidon da aus seiner
schier unerschöpflichen Kleidertruhe zum Vorschein brachte, ließ Peter erst
einmal trocken schlucken. Für ihn hatte der alte Herr einen aufwendig
gearbeiteten Anzug aus schimmerndem Sammetstoff ausgesucht. Ärmel und Hosen
waren ballonartig gepauscht und geschlitzt. Aus den Schlitzen glänzte leuchtend
weiße Seide hervor. Die Kniehosen wurden von silbernen Schnallen gehalten. Dazu
gehörten Seidenstrümpfe und flache, spitze Schuhe. Die Ärmel des Wamses waren
mit geflochtenen Schnüren befestigt und mündeten in engen, spitz auslaufenden
Manschetten. Ein weit geschnittenes, weißes Hemd mit einem in Falten gelegten
Kragen, sowie eine weite, kreisrunde, weiche Kappe aus dem selben Stoff im Stile
einer Baskenmütze, nur viel größer, vervollständigten seine Garderobe. Das
Kostüm sah fabelhaft aus, allein die Farbe machte Peter etwas Mühe.
»Violett??
Ist das Ihr Ernst?«
»Junger
Mann, zu meiner Zeit war das ungeheuer in Mode«, erwiderte Callidon leicht gekränkt.
Nach einem aufmunternden Rippenstoß von Alissandra beeilte Peter sich, seine
Adjustierung zu loben; schließlich wollte er den freundlichen Spender nicht kränken.
Gleichwohl fragte er sich insgeheim, vor wieviel hundert Jahren ,meine Zeit’
gewesen sein mochte.
Eine
provisorische Anprobe ergab, daß die neue Garderobe perfekt paßte, was ein
nicht geringes Erstaunen hervorrief. Callidon aber schien sich köstlich zu amüsieren.
Als sich die Aufregung über die schönen und kostbaren Geschenke gelegt hatte,
mahnte Callidon sich und Tamina zur Eile. »Jetzt müssen wir aber los, wenn wir
auf dem Markt noch etwas gutes bekommen wollen.«
»Wieso
,zaubert’ er uns nicht einfach etwas zu essen?« fragte Peter Alissandra.
»Mein
Junge, wenn du dich ernsthaft mit den Geheimnissen der Natur beschäftigt und in
der Schule besser aufgepaßt hättest, dann wüßtest du, daß gezauberte
Speisen entweder nicht gut schmecken oder aber nicht nahrhaft sind. In der Tat
kannte ich nur einen einzigen der alten Meister, der beides zugleich fertig
brachte. Aber das war noch in den alten Tagen Arkaniens.« Peter nickte
schweigend und fragte sich, was hierzulande für merkwürdige Dinge in den
Schulen gelehrt wurden. ›Es wird höchste Zeit, daß ich hier eine Schulreform
einführe, damit nützliche Fächer unterrichtet werden, wie Physik, Chemie und
Geometrie‹, dachte. Naja, vielleicht doch keine Geometrie, dachte er als er
sich seiner eigenen Zensuren in diesem Fache entsann.
Callidon
ging hinaus, um den kleinen Esel aufzuzäumen, der die Einkäufe den Berg hinauf
tragen sollte.
»Ich
glaube, es verletzt ihn, wenn du immer über die Zauberei spottest«, meinte
Alissandra zu Peter. »Ich finde, Callidon ist so nett. Da könntest du ruhig
ein wenig mehr Rücksicht nehmen.« Peter versprach reumütig Besserung. Aber
angesichts dessen, was sich noch am selben Nachmittag ereignen sollte, schien
sein guter Vorsatz nicht viel wert zu sein.
»Macht’s
gut, ihr beiden. Wir sind in zwei bis drei Stunden wieder zurück.«
»Ich
gehe jetzt baden«, sagte Alissandra. »Du kannst mir dabei helfen…«
»Beim
Baden?!« Peter horchte auf.
»Das
könnte dir so passen! Nein, du kannst mir helfen indem du das Wasser ins Bad
hinauf trägst.« Peter seufzte insgeheim. Das wäre ja auch zu schön gewesen.
In
dem Häuschen auf dem Berg gab es leider keine Wasserleitung, dafür aber einen
Brunnen vor dem Haus. Es gab zwei Pumpen. Eine befand sich in der Küche neben
dem Schüttstein, die andere war draußen vor dem Haus angebracht. Das Wasser mußte
die Treppe hinauf ins Badezimmer getragen werden, wo es in einen hohen, runden
Badeofen geschüttet wurde, eine Art großen Heizkessels, der wie ein gewöhnlicher
Ofen mit Holz und Kohlen befeuert wurde.
Während
Alissandra sich mühte, das Feuer in Gang zu bringen, schleppte Peter die
schweren Wassereimer die Treppe hinauf, wobei die Treppe gleich mitgewaschen
wurde. Alissandra lachte. »Peter, ich sehe, du willst die Treppe aufwischen.
Das wird Meister Callidon sicher freuen. Den Lappen findest du in der Küche
unter dem Schüttstein.«
»So!
Das ist jetzt der letzte Eimer, den ich schleppe. Den Rest kannst du selber
tragen«, rief Peter und streckte sich bis es knackte. Er ließ die Eimer vor
dem Bad stehen und ging auf die Suche nach dem Putzlappen.
Das
Haus Callidons erschien ihm riesig und der Weg von der Küche bis in den ersten
Stock endlos. Wer bereits einmal einen Fußboden auf den Knien aufgewischt hat,
der weiß wie Peter sich fühlte. Natürlich stellte er sich nicht besonders
geschickt dabei an. Es war — das muß man zu seiner Entschuldigung sagen —
das erste Mal, daß er sich mit Hausarbeit beschäftigte, daher war es nicht
weiter verwunderlich, daß er den kapitalen Fehler beging, unten anzufangen, um
sich dann die Treppe hinaufzuarbeiten. Als er auf der zweitobersten Stufe
angelangt, den Eimer umstieß, der scheppernd und polternd seine braune Flut abwärts
goß, konnte man in dem sonst so stillen Hause einige Ausdrücke vernehmen, sie
sogar Alissandra fremd waren.
»Peter?
Was ist passiert? Bist du die Treppe hinuntergefallen?«
»Nein,
mir geht es gut!« sagte er gereizt, aber die Farbe seines Gesichts ließ sie um
seine Gesundheit fürchten.
Beim
zweiten Anlauf hatte Peter mehr Glück. Treppe und Diele waren trocken und
blitzblank. Callidon und Tamina waren im Dorf, Alissandra plätscherte fröhlich
in der Wanne, die Gelegenheit war also günstig, um sich ein wenig in Callidons
Studierstube umzusehen.
Callidons
Reich lag zuoberst unter dem Dach. Es bildete zwei Mansardenzimmer, davon eines
mit Schränken und Stellagen voller Bücher, Schriftrollen und Stapeln von
Papier bestückt war. Die andere war angefüllt mit einer kuriosen Mischung aus
allerlei seltsamen und grotesken Gegenständen. Ein Tisch war übersät mit Gläsern,
Röhren, Tiegeln und Phiolen, sowie anderen chemischen Werkzeugen, wie Löffeln,
Meßkolben und Waagen. An den Wänden hingen Karten, Zeichnungen und Tabellen
mit Zahlen und geheimnisvollen Zeichen und Symbolen. Auf einem separaten
Tischlein stand eine große durchsichtige Kristallkugel auf einem Holzfuß. Darüber
an der Wand hing in einem silbernen Rahmen ein Spiegel, der mit einem dunklen
Bart beklebt war, dergestalt, daß, wenn man sich davor stellte und den
richtigen Abstand einnahm, man sein Gesicht mit einem Bart sah.
Peter
schmunzelte. »Dieser Callidon ist wirklich ein Spaßvogel. Wozu das gut sein
mag?« Er wollte sich eben zum gehen wenden, als sein Blick auf einen Sessel in
der Ecke fiel. Dort lag eine Art von Mantel aus dunkelblauer Seide, der über
und über mit silbernen und goldenen Sternen besetzt war. Auf dem Mantel lag,
ordentlich gefaltet, ein spitzer Hut von der selben Beschaffenheit. Peter hob
beides auf.
Ein
helles Klingen ließ ihn aufhorchen. Peter bückte sich um nach dem
herabgefallenen Gegenstand zu sehen. Er fand ihn unter dem Sessel, wohin er
gerollt war. Es war ein kurzer, dünner schwarzer Stab, an deren Enden sich zwei
silberne Kappen befanden.
»Ein
Zauberstab. Das ist ja irre!« Peter konnte der Versuchung nicht widerstehen. Er
schlüpfte in den Mantel und setzte sich den Hut auf.
»Mit
diesem Bart sehe ich fast wie Callidon aus«, meinte er lachend, als er sich vor
dem bärtigen Spiegel drehte und betrachtete. Das mußte er unbedingt Alissandra
zeigen. — Was war das? Peter lauschte aufmerksam. Alissandra rief von unten
nach ihm.
»Peter!
Wo bist du? Ich brauche unbedingt noch mehr Wasser. Sei doch so lieb und hole
sie mir. Ich kriege sonst den Schaum nicht ab.« Auch das noch! Schon wieder
sollte er Wasser schleppen.
»Komm
aber nicht einfach rein. Es reicht, wenn du sie vor die Tür stellst und
anklopfst.« Peter brummte eine unverständliche Antwort. Warum hatte Callidon
auch keine Diener, dachte er mißmutig, als seine Augen plötzlich
aufleuchteten. Das war ein typischer Gesichtsausdruck, wenn ihm ein guter
Gedanke eingefallen ist.
»Mal
sehen, ob dies Ding hier wirklich etwas taugt«, rief er und schwang den
Zauberstab durch die Luft.
»Hokus,
Pokus. Dienstbarer Geist erscheine mir!« sprach er beschwörend. Nichts tat
sich. Vielleicht mußte man irgend einen besonderen Zauberspruch aussprechen. Da
fiel ihm etwas ein. Er erinnerte sich an ein altes Gedicht, das er in der Schule
einmal hatte lernen müssen.
»Ich
brauche einen Besen. Der soll das Wasser tragen.« er erinnerte sich, in der Küche
einen in der Ecke stehen gesehen zu haben. Im Nu war er dort. Er lehnte den
alten Kehrbesen gegen den Tisch und erhob beschwörend den Zauberstab gegen ihn.
Mit eindringlicher Stimme, die Stirn in Falten gelegt, wild mit den Augen
rollend sprach er, mit einer Miene, die höchste Konzentration darstellen
sollte, die bekannten Worte:
»Walle,
walle,
manche
Strecke,
daß
zum Zwecke
Wasser
fließe,
und
mit reichem, vollem Schwalle
zu
dem Bade sich ergieße.«
Nichts
tat sich.
»Und
nun komm, du alter Besen,
Nimm
die schlechten Lumpenhüllen,
bist
schon lange Knecht gewesen;
Nun
erfülle meinen Willen!
Auf
zwei Beinen stehe,
oben
sei ein Kopf!
Eile
nun und gehe
mit
dem Wassertopf!
Der
Besen stand stocksteif und rührte sich nicht. Vielleicht mußte man es zweimal
sagen.
»Walle,
walle
manche
Strecke,
daß
zum Zwecke
Wasser
fließe,
und
mit reichem, vollem Schwalle
zu
dem Bade sich ergieße!«
Peter
berührte den Besen mit dem Zauberstab. Es gab ein Knacken und mit einem lauten
Schlag — fiel er zu Boden. Dort lag er stille.
»Na
dann eben nicht. Dann muß ich wohl selber ran«, seufzte Peter und ging die
Zauberutensilien zu versorgen.
»Peter!
Wo bleibt mein Wasser?« rief Alissandra aus dem Bade, als sie ihn an der Tür
vorübergehen hörte.
»Ich
komme ja schon!« erwiderte er gereizt. Er ging in den Garten hinaus zur Pumpe.
Kaum
hatte er den ersten Eimer gefüllt, als aus dem Hause ein gellendes Kreischen
erscholl. Peter fuhr auf und rannte ins Haus. Er nahm zwei Treppenstufen auf
einmal. Am Treppenabsatz angelangt prallte er zurück. Vor ihm stand — der Küchenbesen
und starrte ihn aus zwei kleinen, schwarzen Knopfaugen giftig an. Der Ärmste wäre
beinahe rücklings die Treppe hinab gestürzt.
Der
Besen schubste ihn unsanft zur Seite und watschelte auf strohernen Beinen Stufe
um Stufe mit einem wischenden Geräusch die Treppe hinab. An zwei dürren hölzernen
Ärmchen hingen zwei leere Eimer, die scheppernd gegen den Stiel schlugen.
Peter
riß sich von diesem grotesken Anblick los und stürmte weiter, hinein ins Bad.
Die Tür des Badezimmers stand halb offen. Den Anblick, welcher sich Peter dort
bot, würde er nie vergessen. Alissandra stand aufrecht in der Wanne, Mund und
Augen weit aufgerissen. Sie war kreidebleich und schrie hysterisch: »Um Himmels
Willen, Peter! Was war das?«
Peter
stand wie blöde da, Mund und Augen ebenfalls weit offen. »Da — das ist nur
mein kleines Helferlein. Er trägt das Wasser für mich«, stotterte Peter, der
den Blick von der nassen Schönen nicht abwenden konnte. Welch ein Anblick bot
sich ihm da. Wassertropfen perlten von der samtenen, elfenbeinfarbenen Haut, das
braune Haar klebte in feuchten Strähnen um ihre Schultern. Streifen weißen
Seifenschaumes rannen über Arme und ihre wundervoll… — Alissandras schrille
Stimme unterbrach seine Betrachtungen: »Peter! Was stehst du blöd herum?
Unternimm etwas!« Peter unternahm nichts, sondern stand und starrte weiter.
Alissandra
gewann ihre Beherrschung rasch wieder, und als sie Peters Blicken folgte, errötete
sie heftig und ließ sich in die Wanne fallen, wobei sie ihre Blöße zu
verdecken suchte.
»Mach
daß du nauskommst!« rief sie empört. Noch ehe Peter etwas sagen konnte, verspürte
er einen schmerzhaften Stoß im Rücken. Hinter ihm stand der Besen mit zwei
vollen Eimern und begehrte Einlaß.
»Nein,
nein! Hör auf damit. Wir brauchen kein Wasser mehr«, sagte Peter und stellte
sich dem hölzernen Gesellen in den Weg. Allein der Besen wollte nicht auf ihn hören.
Er versetzte Peter mit seinem Stiel einen heftigen Schlag auf den Kopf und stieß
ihn zur Seite.
»Muß
Wasser tragen«, schnarrte der Besen und schüttete die Eimer in die Wanne, der
armen Alissandra über den Kopf.
»Was?!
Das Ding kann auch reden?« prustete sie. »Und du bist immer noch da?«,
fauchte sie Peter an. »Weißt du nicht, was sich gehört?«
»Doch,
doch, aber weißt du — ich mußte die ganze Zeit daran denken… —«
»Was?«
»Wie
umwerfend du ausschaust, wenn du so naß bist und diese kleinen Schaumkrönchen,
die gerade über deine…«
»Peter!!!«
Ein Schwamm verfehlte sein Gesicht um Haaresbreite. Peter machte sich hinaus, um
nach dem ungehobelten Helfer zu sehen.
In
der Küche fand er den hurtigen Wasserträger, der gerade seine Eimer füllte.
»Höre,
Besen! Wir brauchen deine Dienste nicht mehr. Wir haben genug Wasser.« Der
Besen gab keine Antwort und schwang weiter fleißig den Pumpenschwengel.
»Hörst
du nicht? Es reicht!« Der Besen achtete nicht auf Peters Worte. Peter wurde das
ganze langsam zu bunt. Er nahm einen der Eimer und schüttete ihn im Schüttstein
aus. Der Besen unterbrach seine Arbeit und sah Peter mit einem Knirschen aus dem
winzigen hölzernen Mund derart feindselig an, daß Peter es vorzog, den Rückzug
anzutreten.
Alissandra
hatte sich inzwischen halbwegs abgetrocknet und notdürftig angekleidet.
»Peter,
das mit diesem Ungeheuer zahle ich dir noch heim! Wo hast du dieses Ding her?«
Peter erzählte es ihr.
»Du
hast mit Callidons Zauberstab gespielt? Na warte, der wird dir was erzählen,
wenn er… Iiih! Das Ding ist ja immer noch da!« Der garstige Besen hatte seine
Eimer wieder voll und war auf dem Weg ins Bad.
»Unternimm
endlich was, bevor das ganze Haus davon schwimmt.« Peter wünschte, er könnte
das.
»Wie
lautet der Zauberspruch? Ich meine, was hat der Kerl in der Geschichte getan?«
Ȁh,
der hat… — O-O!«
»Was
heißt O-o?«
»Tja,
also… — der Typ konnte den Besen nicht aufhalten, weil er den Zauberspruch
vergessen hatte, also nahm er eine Axt und…«
»Genau,
das ist die Lösung! Machen wir ihm den Garaus. Hinter dem Haus steht der
Hackklotz mit der Axt.«
»Ich
fürchte, das wird nichts bringen«, wandte Peter zögernd ein.
»Wieso?
Wir machen Kleinholz aus dem Ding.«
»Das
hat der Kerl in dem Gedicht auch versucht. Aber dann bekam er es mit zwei
Besen zu tun.« Alissandra
hatte genug. Sie
packte Peter am Hals und schüttelte ihn. »Wie geht die Geschichte aus? Raus
mit der Sprache. Wie hat er den Besen aufgehalten?«
»Gar
nicht«, stöhnte Peter und entwand sich ihren Händen. Alissandra war drauf und
dran, ihn ernsthaft zu erwürgen.
»Am
Ende kam der alte Hexenmeister und hat den Besen entzaubert.«
»!!!«
»Herr!
Die Not ist groß; die ich rief die geister, werd’ ich nun nimmer los!«
zitierte Peter, der sich vorsichtshalber außer Alissandras Reichweite gebracht
hatte.
»Halt!
Warte Alissandra! Wo willst du hin?« rief er ihr hinterher.
»Die
Axt holen«, schallte es zurück.
»Aber
die hilft doch nicht gegen den Zauberbesen.«
»Nein,
aber gegen den Zauberlehrling!« Da gab’s nur noch eines: Peter suchte sein
Heil in der Flucht.
»Was
ist denn hier los?« rief eine vertraute Stimme. Es war Tamina, die mit einem
schweren Beutel auf dem Rücken soeben aus dem Wald hervorkam.
»Habt
ihr beiden Streit? Oder wieso ist Alissandra mit einer Axt hinter dir her?«
»Das
ist eine lange Geschichte. Wo ist Callidon. Ist er nicht mit dir zurückgekommen?«
fragte Peter atemlos und blickte sich nach seiner Verfolgerin um.
»Doch,
hier bin ich schon, Peter!« ertönte die Stimme des Meisters zwischen den Bäumen
hervor. »Ein alter Mann ist schließlich kein D-Zug.«
Endlich
trippelte das Eselchen mit dem großen alten Mann auf seinem Rücken auf dem
Pfad heran. Normalerweise hätte Peter den Anblick des langen Reiters, dessen
Beine fast den Boden berührten durchaus in seiner unfreiwilligen Komik zu würdigen
gewußt, in dieser Lage aber hatte er ganz andere Sorgen.
»Meister
Callidon, Ihr müßt schnell zum Haus kommen. Wir haben — äh — ein Problem
—.«
»Da
ist ein Ungeheuer von einem Besen im Haus und setzt alles unter Wasser«, rief
Alissandra, die eben die Szene betrat.
»Ich
verstehe nicht ganz…«
»Peter
hat gezaubert«, platzte Alissandra schadenfroh heraus.
»Peter,
du hast nicht etwa meinen…«
»Ich
fürchte doch, Meister. Ich fand den —äh — Zauberstab.« Callidon stieß
einen Schreckensruf aus und sprang von dem Reittier. So schnell ihn seine Füße
trugen rannte er zum Haus; die anderen hinterher.
Ein
Schwall Wasser schwappte ihm entgegen, als er die Tür aufstieß. Callidon blieb
auf der Schwelle stehen und besah sich die Bescherung. Die Treppe hatte sich in
einen Sturzbach verwandelt. Von Stufe zu Stufe ergoß sich plätschernd und
spritzend das Naß. Kleine Schauminseln trieben in der Diele. Callidon stöhnte
und griff sich an den Kopf. Als ihm auf der Treppe der emsige Wasserträger
begegnete, stieß er einen Schreckensruf aus — es mochte wohl auch ein Fluch
sein.
»Ihr
bleibt draußen«, rief er den andern zu und verschwand im Haus. Darauf
herrschte für eine Weile Stille.
Schließlich
konnte man ein Poltern und Spritzen vernehmen. Kurz darauf erschien Callidons
Kopf am Fenster.
»Kommt
herein, Kinder. Aber sein vorsichtig; es ist glatt.«
»Mann,
hier sieht’s aber aus«, sagte Tamina beim Eintreten. Callidon kam vorsichtig
die Treppe herunter.
»Ist
der…«
»Nein,
Alissandra! Der Besen macht euch keine Schwierigkeiten mehr. Er steht jetzt in
der Abstellkammer bei seinen Kameraden.«
»Es
ist alles meine Schuld«, sagte Peter mit gesenktem Haupt.
»Wir
beide sprechen uns später«, sagte Callidon ernst. »Zunächst aber müssen wir
das Wasser aufwischen. Tamina, geh du bitte in die Küche und packte die Einkäufe
aus. — Du Alissandra ziehst dir etwas an und trocknest die Haare, bevor du
dich erkältest. — Und dir, junger Mann, rate ich, dich hier eine Weile nicht
blicken zu lassen. Mach am besten einen schönen, langen Spaziergang. Das hilft
dir beim Nachdenken.«
Kleinlaut
schlich der Zauberlehrling davon. Peter fühlte sich mies und elend. Callidon
war so ein freundlicher und gütiger alter Herr, der sie in seinem kleinen Haus
gastfreundlich aufgenommen hatte. Und wie vergalt man ihm seine
Gastfreundschaft? Indem er sein Haus unter Wasser gesetzt und mit seinen persönlichen
Dingen herumgespielt hatte. Welcher Teufel hatte ihn nur geritten, in das
Arbeitszimmer einzudringen? Hätte er bloß dir Finger von dem Zauberstab
gelassen! Aber wie konnte er auch ahnen, daß dieses unscheinbare Stäbchen die
Macht hatte einem unbelebten Gegenstand Leben einzuhauchen und aus einem
lustigen alten Gedicht bitteren Ernst werden lassen?
Wer
weiß, wie lange es dauern würde, die Schweinerei im Haus und auf der Treppe zu
beseitigen. Alles wegen zwei lächerlichen Eimern Wasser, die er Faulpelz
hinaufzutragen sich zu schade war.
Am
liebsten würde er sich diskret aus dem Staube machen. Irgendwohin gehen, wo man
ihn nicht kannte.
Nein.
Das war natürlich Unsinn. Aber Peter schämte sich sehr. Was mochte Alissandra
wohl von ihm denken? Nach diesem peinlichen Zwischenfall hatte er bei ihr sicher
endgültig ausgespielt.
Aber
vielleicht wäre das auch besser so. Das würde den Abschied leichter machen. Er
hätte ohnehin nur wenige Tage bleiben können; jetzt würde er halt gleich
abreisen. Alissandra war abmachungsgemäß bei Callidon abgeliefert worden.
Damit hatte er seine Schuld ihren Eltern gegenüber erfüllt. Tamina würde
vorerst auch dableiben können. Er selber mußte zurück nach Carlan. Alles
weitere würde sich finden. Jetzt war also der Zeitpunkt gekommen, wo sich ihre
Wege endgültig trennen würden.
Peter
blieb stehen. Seine Füße hatten ihn unbewußt bis an das Ende der großen
Wiese geführt. Vor ihm lag ein tiefer Abgrund. Er befand sich oberhalb jenes
auffälligen Felssturzes, der er am Morgen aus der Ferne gesehen hatte. Zögernd
machte er zwei, drei Schritte vorwärts Richtung Abgrund.
Er
wagte nicht näher an die Bruchkante heranzutreten, aus Furcht, daß sich ein Stück
des Boden lösen könnte. Tatsächlich hing die Wiese ein kleines Stück über
den Bruch hinaus. Die dichte Grasnarbe hielt das Erdreich fest, aber nach einem
kräftigen Regenguß konnte es schon vorkommen, daß sich ein Stück Erde ablöste
und ins Tal hinabstürzte. Auf diese Weise war die Wiese in den vergangenen
Jahren um einige Meter geschrumpft. Irgendwann würde das lockere Erdreich
soweit erodiert sein, daß die nackten Felsen einem weiteren Abtrag ein Ende
bereiteten.
Peter
setzte sich ins Gras und ließ seinen Blick über das Tag und das weite Land in
der Ferne schweifen. Wie schön war Arkanien.
Dunkelgrüne
Nadelwälder wechselten mit hellgrünen Wiese. Auf den frisch bepflanzten
Feldern sproß das erste zarte Grün. Zierliche weiße Häuslein mit hellen
Ziegeldächern lagen friedlich im stillen Talgrund. Weißbraunes Vieh und
wollige Schafe weideten behaglich unter den Augen des wachsamen Hirten. Weißschäumende
Wasserfälle stürzten über nackten Fels und ergossen sich in verschleierte Bächlein
und Teiche, die ihrerseits das kristallklare Naß an den in lustigen Mäandern
das Tal durchströmenden Fluß abgaben. Fern, weit im Norden ahnte man die
schneebedeckten Wipfel der Berge, die im Blau des Himmels verschwammen. Eine
leichte Brise fächelte kühle Luft vom Talgrund her in Peters Gesicht.
Tief
sog er die frische, von Sauerstoff und dem Duft frischer Blüten gesättigte
Luft ein. Mit jedem Atemzug verspürte er ein Gefühl unbeschreiblicher
Leichtigkeit und Freiheit. Wenn er die Augen schloß hatte er das Gefühl als könne
er sich einem Adler gleich in die Lüfte erheben und leicht wie eine Feder vom
Winde getragen ins Tal hinab schweben.
Langsam
und ohne Furcht ging er auf den Abgrund zu. Die Schatten der Bäume wurden allmählich
länger und die Luft kühlte sich ein wenig ab. Der Zauber des Frühlingstages
schwand und wurde von jener unbeschreiblich schönen wie wehmütig schmerzlichen
Abendstimmung abgelöst, die stets das Ende eines unvergeßlichen Tages zu
begleiten schien. Peter setzte sich an den Rad das Abhangs und zog die Knie hoch
bis zum Kinn. Er stützte sein Haupt auf die verschränkten Arme. Ein leises,
kaum wahrnehmbares Geräusch veranlaßte ihn sich umzuwenden.
Einige
Meter hinter ihm stand Callidon und sah unter halb geschlossenen Lidern in die
Ferne. Trotzdem machte er nicht den Anschein eines Geistesabwesenden, vielmehr
konnte diese Mine genauso gut Zeichen höchster Konzentration sein.
Als
Peter ihn erblickte, stand er sofort auf und ging einige unentschlossene
Schritte auf den Alten zu.
»Meister
Callidon! Seid Ihr schon lange hier?«
»Erst
kurze Zeit. Ich bin gekommen, um …«
»Es
war alles meine Schuld. Ich weiß auch nicht mehr, warum ich den Zauberstab
genommen habe. Ich verstehe, daß Ihr jetzt sehr wütend auf mich seid. Ich
nehme auch jede Strafe auf mich und werde den Schaden ersetzen…« Die Worte
sprudelten nur so aus Peters Mund hervor.
»Jetzt
sei erst mal still und höre mir zu. Ich bin nicht gekommen um zu schimpfen und
schon gar nicht um dich zu bestrafen. Das würde ich mir niemals anmaßen.«
»Ich
bitte Euch, Ihr seid ein würdiger Meister eures…«
»Jetzt
halt aber die Klappe!« Das wirkte. Peter verstummte und starrte den Alten mit
offenem Mund an. Callidon lächelte und wirkte beinahe verlegen und erstaunt über
seine eigenen Worte.
»Ich
bin in erster Linie hier, um dich zum Abendbrot zu holen. — Das mit dem Besen«,
Callidon lachte, »kann ich verstehen. Auch ich war einmal jung und hielt die
alten Lehrer für Spinner und Langweiler. Zauberei, das war etwas aus den alten
Geschichten und Märchen. Wer kannte schon einen echten Zauberer? Scharlatane
und Schwindler gab es genug. Als ich meinem alten Lehrmeister das erste Mal
begegnet bin, da hielt ich ihn auch für einen dieser Narren. Aber irgendwie war
er anders. Ich mußte also herausfinden, ob er wirklich das war, für den man
ihn mir ausgab. Was tat ich also? Ich schlich mich heimlich in seinen Turm,
durchstöberte die Sachen und versteckte mich in einem Schrank, als der Alte
unerwartet nach Hause kam. Natürlich wußte er sofort, wo ich steckte und er
erteilte mir eine Lektion, die ich sobald nicht vergaß. Es war furchtbar.
Zuerst hörte ich etwas rascheln, dann spürte ich, wie sich neben mir im
Schrank etwas bewegte. Dabei war der Schrank bis auf einige alte Mäntel ganz
leer gewesen. Etwas feuchtes, kaltes kroch mein Bein hoch. Draußen hörte ich
den Meister laut sprechend hin und her gehen. Ein zweites etwas schlang sich um
meinen Arm und auf meinem Rücken spürte ich es krabbeln. Schließlich hielt
ich es nicht mehr aus. Ich stürzte wie ein Wahnsinniger lauthals schreiend aus
dem Schrank hervor. An mir hingen kleine goldene Schlänglein, die mich
freundlich aus glitzernden Äuglein anschauten und zu mir sprachen. Ich
versuchte sie abzuschütteln, aber es ging nicht. Ich wollte fliehen, aber die Tür
ließ sich nicht öffnen. Ich rief um Hülfe, aber statt dessen fing jetzt erst
richtig ein gespenstischer Reigen an. Die Gegenstände in dem Raum erwachten zum
Leben. Ich sah Stühle im Galopp um den Tisch laufen. Krüge und Kannen tranken
sich selber aus. Bücher flatterten durch die Luft wie Schmetterlinge. Der Spuk
dauerte Stunden. Ich war nahe daran, mich aus dem Fenster zu stürzen, als alles
plötzlich aufhörte und der alte Meister vor mir erschien. Noch nie im Leben
hatte ich so große Furcht verspürt. Ich saß vor ihm auf dem Boden, das Hemd
klebte mir am Leib und ich zitterte wie Espenlaub. Der Meister sah mich streng
an, und ich ließ jede Hoffnung fahren. In den alten Geschichten über die ich
so oft gespottet hatte, wurden immer wieder von Menschen berichtet, die von bösen
Hexen und Zauberern verwunschen oder in Tiere verwandelt wurden. Mein einziger
Wunsch bestand darin, nicht in eine Kröte oder ein anderes garstiges Tier
verwandelt zu werden, als mich der Meister fragte, ob ich nicht gewillt sei,
sein Schüler zu werden. Ich sagte sofort zu, noch ehe ich richtig begriff, was
mir da bevorstehen würde, und war überglücklich. Es sollten aber noch viele
Jahre vergehen, bis er endlich zufrieden mit mir war und ich die letzte seiner
Prüfungen bestanden hatte. —
Ja,
und heute bin ich der alte Meister. Du siehst, ich kann gut nachempfinden, was für
ein Gefühl das war, dem bösen Besen gegenüber zu stehen. Wie kamst du nur auf
die Idee, einen Besen zum Wasserträger zu machen? So etwas mögen die gar
nicht.«
Peter
erzählte ihm von der alten Ballade des Dichters Goethe, worauf Callidon in ein
schallendes Gelächter ausbrach.
»Ihr
seid mir nicht mehr böse?« fragte Peter zögernd.
»Nein,
jetzt nicht mehr. Aber noch vor einiger Zeit warst du so
kurz davor, selber in einen Besen verwandelt zu werden. Wir haben nämlich
jemanden zum Aufwischen gebraucht, und wer weiß, wenn die beiden Mädel nicht
mit Engelszungen auf mich eingeredet hätten …« Peter schluckte.
»Gute
alte Tamina! Ich glaube Alissandra hätte mich gern als Besen gesehen, nur um
sich den Spaß zu machen, mich mit der Axt in zwei Hälften zu spalten.«
»Nein,
da irrst du dich. Gerade Alissandra hat dich besonders in Schutz genommen.«
»Wirklich?«
Peter war echt überrascht.
»Dabei
kann sie mich doch gar nicht besonders leiden. Ich glaube sie wird ganz froh
sein, wenn sie mich in ein paar Tagen los wird.« Peter seufzte leise.
»Das
glaube ich nicht, Peter. Es würde ihr wahrscheinlich das Herz brechen. Ich weiß
nicht genau, was ihr fehlt, aber ich fühle, daß ihr irgend ein Kummer schwer
auf der Seele liegt. Du mußt mit ihr sprechen.«
»Ihr
habt recht. Ich muß endlich Bescheid wissen.« Callidon legte seine Hand auf
Peters Schulter und führte ihn zum Haus zurück.
»Du
hast eine knappe halbe Stunde Zeit, bis wir essen.« Peter beeilte sich mit dem
Waschen und umziehen.
Er
stand gerade in seinem neuen Anzug vor dem Spiegel in seinem Schlafzimmer und
versuchte vergeblich einen Scheitel in sein widerspenstiges Haar zu kämmen, als
es an der Tür leise klopfte. Es war Tamina, aber das erkannte er erst auf den
zweiten Blick. Das lange Kleid aus schimmernder Seide paßte farblich perfekt zu
ihrem blonden Haar, welches zu einer künstlichen Frisur geflochten und toupiert
war.
»Der
Anzug steht dir gut«, sagte sie und musterte ihn von allen Seiten. »War
Callidon sehr böse?«
»Aber
nein, wir haben uns sehr freundlich unterhalten. — Aber laß mich dich einmal
richtig anschauen.« Das einfache Mädchen vom Lande hatte sich in eine richtige
Prinzessin verwandelt.
»Etwas
fehlt aber noch«, sagte Peter.
»Was
meinst du?« Tamina sah enttäuscht an sich herab. Sie hatte sich doch so viel Mühe
gegeben.
»Komm
her, setz dich aufs Bett und mach die Augen zu. — Nicht blinzeln!« Peter ging
zum Schrank, wo er eine kleine Schachtel hervor holte. Er öffnete sie und
entnahm ihr einen glitzernden Gegenstand. Es war ein Halsband von unzähligen
geschliffenen weißen und acht großen roten Steinen, in Weißgold gefaßt. Er
schlang es Tamina um den Hals und mahnte sie, stillzuhalten und nicht zu
schauen, als sie von der Berührung des kalten Metalls auf der bloßen Haut
erschrak.
»Was
ist das?«
»Komm
mit zum Spiegel.« Sie tat wie geheißen. Als sie die Augen aufschlug und das
kostbare Geschmeide um ihren Hals sah, stieß sie einen leisen Schrei aus. Ungläubig
starrte sie auf die blitzenden Steine.
»Das
ist wunderschön«, hauchte sie. »So etwas kostet doch ein Vermögen. Wo hast
du das her, Peter?«
»Pscht!«
zischte er. »Es ist ein Geschenk von mir und als Regent von Arkanien kann ich
mir das leisten.« Der Schmuck befand sich unter den erbeuteten Schätzen.
Tamina
war ganz außer sich vor Freude. Sie sprang an Peter empor und küßte ihn
heftig auf beide Wangen.
»Das
muß ich Alissandra zeigen und … oh!«
»Was
ist denn?«
»Was
wird sie denken, wenn du mir den teuren Schmuck schenkst?«
»Was
sollte sie dagegen haben?«
»ich
dachte nur … ich meine, ihr beide …«
»Keine
Sorge, ich habe auch an Alissandra gedacht. Aber ich werde es ihr erst später
geben.«
»Kann
ich — es mal sehen?«
»Nur
wenn du schweigen kannst.« Peter brachte ein weiteres, größeres Kästchen zum
Vorschein. Tamina machte es auf und hielt den Atem an.
»Meinst
du, es wird Alissandra gefallen?« fragte Peter.
»Welcher
Frau würde so was nicht gefallen«, sagte Tamina atemlos und klappte den Deckel
zu. Sie reichte das Kästen an Peter zurück und sagte: »Wir müssen jetzt
hinunter zum Essen.« Sie wandte sich abrupt ab. Peter folgte ihr hinaus. An der
Tür nebenan blieb er stehen und pochte gegen das dunkle Holz.
»Bist
du es, Peter? Ich bin grad’ soweit. Nur noch einen Augenblick! Geh schon
voraus!« Peter war unschlüssig, entschied sich aber dazu, auf Alissandra zu
warten.
Es
dauerte noch eine Weile, bis sich die Tür auftat und Alissandra in ihrer ganzen
Pracht ihm entgegentrat.
»Peter,
du hast auf mich gewartet? Wie lieb von dir. Das Lila steht dir aber gut.« War
das jetzt ernst gemeint, oder trieb sie ihren Spott mit ihm? Peter erwiderte das
Kompliment und fügte hinzu: »So etwas solltest du öfter tragen.«
Alissandras
Kleid war ein Traum in Samt und Seide. Am besten aber gefiel Peter ihr Haar, das
teils in schimmernden Kaskaden über ihre Schultern wogte, teils zu zierlichen Zöpfchen
geflochten um ihr Haupt geschlungen und mit mehreren unsichtbaren Nadeln und
einer zum Kleid passenden Schleife gehalten wurde.
»Du
siehst einfach umwerfend aus.« Alissandra lächelte verlegen, konnte aber ein
Zeichen der Befriedigung nicht verbergen.
»Wirklich,
du bist wunderschön — auch ohne Kleid«, fügte Peter hinzu und beeilte sich,
die Treppe hinabzusteigen. Alissandra errötete schamvoll und senkte den Kopf.
Zum Glück war Peter so taktvoll, ihr in diesem Moment nicht in die Augen zu
schauen.
Tamina
saß bereits unten im Eßzimmer am Tisch. Callidon, der noch in der Küche beschäftigt
war, rief ihnen zu, sich ebenfalls zu Tisch zu begeben. Peter rückte Alissandra
galant den Stuhl zurecht, bevor er ihr gegenüber Platz nahm. Er beobachtete
diskret ihre Reaktion, als sie Taminens neuen Schmuckes ansichtig wurde. Peter
grinste still in sich hinein, als er sah, wie sie mit regelrechten Stielaugen
nach dem gleißenden Geschmeide äugte. Ihr Mund öffnete sich, aber außer
einem leisen »Oh!« brachte sie zunächst nichts heraus. Dann aber tat sie, was
wohl jede getan hätte. Es hielt sie nicht länger auf ihrem Stuhl; sie mußte
es aus der Nähe betrachten. Als Tochter eines der ersten Fürsten im Reich
hatte sie in den höchsten Kreisen verkehrt und schon zahlreiche kostbare
Pretiosen gesehen. Sie selber hatte das eine oder andere schöne Stück
besessen, aber ein vergleichbares Halsband mit nur annähernd so vielen und großen
Steinen hatte sie noch nie gesehen.
»Meine
Güte, Peter. Wen hast du dafür umgebracht?«
»Ich
bitte dich, Alissandra! Das ist doch nur eine bescheidene Geste meiner
Dankbarkeit und Freundschaft. Wenn ich König bis, dann werde ich …«
»…das
Land ruinieren«, vollendete Alissandra seinen Satz. »Ich
jedenfalls kann auf derlei Prunk leicht verzichten. Ich gebe mehr auf die inneren Werte, als auf den äußeren Schein.«
»Na
ihr Lieben! Streitet ihr euch schon wieder?« Callidon trat eben im richtigen
Augenblick aus der Küche heraus. Er schob ein Wägelchen mit dampfenden Schüsseln
und Schalen beladen herein. Beim Anblick und dem Duft der köstlichen Speisen
verstummte sogleich jede Disputation.
Callidon
war ein Meister der feinen Küche, und wäre er nicht für seine übernatürlichen
Kräfte bekannt gewesen, so hätten die drei nimmer glauben können, daß er
allein solch eine Menge und Mannigfaltigkeit an Speisen in der kurzen Zeit zu
Stande gebracht hatte. Die aufregenden Erlebnisse des Tages hatten den jungen
Leuten einen riesigen Appetit beschert, und so griffen sie beherzt zu.
Nach
einer mit aromatischen Kräutern aus dem eigenen Garten verfeinerten Suppe gab
es Filets von in Butter gebackener Forelle, dazu junges Frühlingsgemüse. Das
Hauptgericht bildete ein gefüllter Fasan, den sie auf dem Markt im Dorf
erstanden hatten. Die Sauce tunkten sie mit frisch gebackenem Brot auf. Aus
seinem Vorrat für besondere Gelegenheiten hatte Callidon einen ganz besonderen
Wein ausgewählt. Es war ein milder Rosé aus Tribanthia, jenem märchenhaften
Eiland im Süden, wo die süßesten Früchte und erlesensten Weine gediehen.
Leider hatte Tiras es sich mit dem Herrscher jenes kleinen, aber von der Natur
mit einem überaus milden Klima, fruchtbarer Erde und einer leichtherzigen
Menschenrasse beglückten Reich verdorben, als er einen hohen Tribut forderte,
so daß es mit dem Handel und den in der Vergangenheit weithin geschätzten
Wein-Importen ein jähes Ende nahm. Wer immer in Arkanien einige Flaschen oder
gar ein Fäßchen tribanthinischen Weines sein eigen nennen konnte, durfte sich
glücklich schätzen und hütete diesen besonderen Schatz sorgfältig.
Peter
ließ es sich nicht nehmen, sein Glas zu erheben und auf das Wohl ihres großherzigen
Wirtes anzustoßen.
Mit
jedem Bissen und jedem Schluck wurde die Gesellschaft lauter und die Stimmung
ausgelassener.
Endlich
stöhnte Peter: »Ich bin so satt, daß kein Bissen mehr hinein geht, sonst
platze ich noch.«
»Willst
du meine heißen Honigküchlein etwa verschmähen?« fragte Callidon und schob
Peter ein Körbchen mit dem verführerisch duftenden Backwerk unter die Nase.
Natürlich ließ Peter sich nicht zweimal bitten und griff zu. Auch einen
ordentlichen Schlag süßer Sahne lehnte er nicht ab.
»Wollt
ihr wirklich nichts mehr?« fragte Callidon schließlich, worauf die drei nur
die Augen verdrehten und wohlig stöhnten.
Tamina
bot an, beim Abwasch zu helfen, aber Callidon wehrte brüsk ab und erklärte, es
komme nicht in Frage, seine Gäste arbeiten zu lassen. »Außerdem habe ich da
so meine kleinen Helfer. Allerdings habe ich sie etwas besser im Griff«, meinte
er mit einem verschmitzten Blick auf Peter, der verschämt die Augen
niederschlug.
»Ihr
könntet euch doch ein wenig im Garten ergehen. Peter, Alissandra, das tut gut
nach dem Essen.« Später erzähle ich euch alles, was ihr über König Brunnar
und die alten Legenden wissen möchtet.
»Laß
uns gehen.« Alissandra stand auf und streckte sich. »Ich kennen einen schönen
Platz in der Nähe.«
»Ist
gut. Ich hole nur rasch unsere Mäntel. Es kann nachts ziemlich kühl werden.«
rief Peter ihr zu und lief hinauf.
»Kommst
du nicht mit, Tamina?«
»Nein.
Geht ihr beide nur alleine. Ich weiß mir schon die Zeit zu vertreiben«, sagte
diese, denn sie wußte, oder ahnte, was geschehen würde.
Peter
kehrte wieder mit den Mäntel über dem Arm. Auf dem Kopf trug er den
federgeschmückten Hut und an der Seite das goldene Schwert. Er sah prächtig
aus in dieser Adjustierung und so fühlte er sich auch. Er bot Alissandra seinen
rechten Arm, den sie lächelnd annahm. Sie gingen einige schritte.
Die
Sonne hatte bereits den Horizont überschritten. Bald würde sich der Mantel der
Nacht über das Land senken. Im Gras zirpten die Grillen, die Luft war lau und
mild. In einigen Wochen würde sich die Sommerhitze vom Süden her breit machen.
Peter
und Alissandra schlenderten über die Wiese. Keiner sprach ein Wort. Beide
genossen die wundervolle Abendstimmung. Dennoch lag eine seltsame Spannung in
der Luft. Jeder versuchte innerlich in Worte zu fassen, was ihn seit langem
beschäftigte. Schließlich langten sie an dem Felssturz am Ende der Wiese an.
»Das
könnte mein Lieblingsplatz werden. Die Aussicht ist so schön; vor allem am frühen
Morgen und am späten Nachmittag«, meinte Alissandra und steckte die Arme aus,
als wolle sie die Landschaft umfassen. Peter trat neben sie.
Wir
schön sie jetzt in dem milden Abendlicht aussah. Ihr Anblick war für Peter so
wunderbar, daß es ihn beinahe schmerzte, sie anzuschauen. Sein Herz begann wie
wild zu schlagen und er fühlte einen heftigen Adrenalinstoß, der ihm beinahe
die Luft raubte. Es war die letzte Gelegenheit. Er mußte es ihr sagen. Und doch
— ein dicker Frosch stak in seinem Hals.
»Alissandra
— ich — äh …«
»Ja,
Peter?«
Natürlich
— das Geschenk!
»Ich
habe hier eine Überraschung für dich.«
»Eine
Überraschung? Was ist es denn?« Peter holte das Kästchen hervor, das er unter
dem Mantel verborgen hatte. Er klappte den Deckel auf und nahm einen silbern
funkelnden Gegenstand heraus. Es war ein diamantenbesetztes Diadem, bestehend
aus einhundert Steinen, welches er in Händen wog.
Alissandra
stieß einen leisen Schrei aus. »Peter! Das kann doch nicht dein Ernst sein.
Das ist mehr wert als ein Königreich.«
»Es
ist nur billig, daß die schönste Frau der Welt den schönsten Schmuck erhält«,
erwiderte Peter. Er beobachtete wie ein Schimmer über ihre Wangen flog.
Alissandras Pupillen weiteten sich. Vorsichtig drückte er ihr das Krönchen ins
Haar. Es saß wie angegossen. Alissandra sah aus wie eine Königin, und
vielleicht — eines fernen Tages — würde sie es sogar sein.
Alissandra
war sprachlos.
»Danke,
Peter«, sagte sie endlich. »Wofür ist das? Ich meine, ich habe nicht einmal
Geburtstag. Ach, ich wünschte, ich könnte mich sehen. Ich muß sofort ins Haus
zurück.«
»Nicht
nötig«, sagte Peter und zog einen Taschenspiegel hervor. Er war gut
vorbereitet. Alissandras Freude war riesig. Peter genoß das Leuchten in ihren
Augen. Für einen Augenblick sah es tatsächlich so aus, als wollte sie ihm um
den Hals fallen. Dann flog ein Schatten über ihr Gesicht und sie wurde ernst.
»Lisa!
Ich wollte dir schon vor so langer Zeit sagen, wie sehr ich … — ich meine,
schon bei unserer ersten Begegnung im Wald dachte ich … —« er seufzte und
legte seinen Arm um ihre Schultern. Sie erbebte und wich zurück.
»Bitte
nicht«, hauchte sie leise. Peter zog seine Hand zurück und rief verdrießlich:
»Verdammt, Alissandra! Ich versuche meinen ganzen Mut zusammen zu nehmen, um
dir zu sagen daß — daß ich dich liebe! So sehr und heftig, daß ich gar
nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht. Aber du meidest mich wie die Pest.« Er
ließ sich ins Gras fallen und saß mit angezogenen Knien und gesenktem Kopf am
Boden.
»Ich
kann verstehen, wenn du nicht das gleiche empfindest. Schließlich bin ich alles
andere als ein Märchenprinz. Ich weiß selber, wie ich aussehe und … und —«
seine Stimme brach. »Ich werde morgen früh nach Carlan reiten, dann brauchst
du mich nie wieder zu sehen. Ich habe dich zu Callidon gebracht, damit ist
unsere Vereinbarung erfüllt.« Alissandra gab einen winselnden Laut von sich
und lief davon. Peter sah ihr verwirrt nach. Dann sprang er auf und lief ihr
hinterher. Die langen schweren Röcke behinderten Alissandra beim Laufen, so daß
Peter sie bald eingeholt hatte.
Er
fand sie im Wald auf einem schroffen Felsen sitzend. Sie barg das Gesicht in
ihren Händen und ein heftiges Schluchzen und Weinen schüttelte die zierliche
Gestalt. Peter war völlig bestürzt. Er hatte sie bereits einmal einen heftigen
Weinkrampf durchmachen gesehen; damals, als man ihr die Nachricht von den
Heiratsplänen des Prinzregenten überbracht hatte. Aber das war nicht so
schlimm gewesen, wie jetzt.
»Alissandra!
Bitte sag’ doch was du hast.« Peter nahm sie in den Arm. Aber alles, was die
völlig Aufgelöste herauswürgte, war: »Bitte Peter! geh fort! Du mußt mich
verlassen.« Peter überlegte, wie er ihr helfen könnte. Normalerweise wäre
bei einem solchen hysterischen Anfall ein Schlag ins Gesicht angebracht, aber
das brachte er nicht übers Herz. Statt dessen packte er sie und rüttelte sie
heftig durch.
»Nein,
Lisa! Ich werde dich niemals verlassen. Ich liebe dich! mehr als alles andere in
der Welt!« Er drückte sie an sich und streichelte ihr schimmerndes Haar, während
sie ihren Kopf gegen seine Schulter drückte.
»Peter!
Ich liebe dich auch, aber das darf nicht sein.«
»Warum
um alles in der Welt denn nicht?«
»Weil
ich allen Menschen nur Unglück bringe. Und denjenigen, die mich lieben ganz
besonders. Ich bin verwünscht.« erneut begann sie heftig zu weinen.
»Alissandra,
Liebste! Was redest du da?« Sie machte sich los und atmete mehrmals tief durch.
Dann wischte sie sich die Tränen aus dem geschwollenen Gesicht.
»Ich
will dir alles erzählen, von Anfang an, dann wirst du verstehen, warum wir
nicht zusammenkommen dürfen — um deinetwillen.« Peter reichte ihr sein
Taschentuch, das sie ausgiebig nutzte. Die roten Flecken auf ihrem Gesicht
wurden langsam blasser und ihr Atem ging wieder ruhiger, als sie endlich zu
sprechen anhub:
»Ich
weiß nicht, woran es liegt, aber es gibt Menschen, die vom Pech verfolgt
werden, egal was sie anfangen. Und andere bringen ihrer Umgebung Unglück. Dazu
gehöre auch ich. — Nein! Widersprich mir nicht! Ich weiß, wovon ich rede.
— Als ich geboren wurde, ließ mein Vater von einer weisen alten Frau, die
damals in der Nähe unseres Schlosses lebte, die Sterne deuten. Leider gab sie
keinen guten Bescheid und lange Zeit behielt mein Vater ihre Weissagung für
sich. Als ich aber später davon erfuhr, ließ ich meinen Eltern keine Ruhe, bis
sie mir die Deutung, die damals aufgeschrieben worden waren, zu lesen gaben.
Es
stand viel darin über die Stellung der einzelnen Gestirne zueinander, was mir
nichts sagte. Aber alles, was über meine Fähigkeiten und Neigungen gesagt
wurde, stimmte — jedenfalls zum größten Teil. Über meine Zukunft hieß es,
daß durch mich ein großes Unglück über alle meine Lieben kommen würde, daß
ich einst die Gemahlin eines mächtigen Herrschers würde und daß auf große
Liebe, Verrat, Schmerz, Verzweiflung und Tod folgen würden. Außerdem war die
rede von einer großen reise, von einer Höhle einem eisernen Roß und
brennendem Wasser im Lande jenseits des Wassers.«
»Aber
Alissandra! Das ist doch alles Unsinn. Eiserne Pferde, brennendes Wasser. Diese
Hexen und Scharlatane prophezeien für Geld doch jeden Unsinn. Man sollte so
etwas verbieten.«
»So
viel ich weiß, wollte sie kein Geld — im Gegenteil, sie wollte nichts
annehmen, was Vater ihr angeboten hatte. Callidon hat mir später dann diesen Glücksstern
geschenkt, damit er mich vor allem Übel behüte. Aber genützt hat er nicht
viel.« Sie hielt den kleinen siebenzackigen Goldstern empor, den sie auf ihrer
Brust trug.
»Verstehst
du denn nicht? Bis jetzt ist alles genau so geschehen, wie es die Alte
vorausgesagt hatte. Unmittelbar nach meiner Geburt fiel mein Onkel Arlin in
Ungnade, dann ging mein Bruder fort und schloß sich den Rebellen an, mein Vater
verlor sein Amt bei Hofe, mein kleiner Bruder starb und ich …«
»Du
hattest einen kleinen Bruder? Davon hast du nie etwas erzählt. Was ist
geschehen?« Peter ergriff Alissandras Hand und drückte sie ermunternd.
»Das
war vor einigen Jahren. Meine Eltern haben nicht mehr damit gerechnet, noch
weitere Kinder zu bekommen. Aber dann bekam Mutter den kleinen Aristan. Er war
so süß und wir alle freuten uns sehr. Aber nach wenigen Monaten bekam er plötzlich
hohes Fieber. Der Arzt konnte nicht helfen und nach vier Tagen ist er gestorben.
Meiner Mutter brach es das Herz und mein Vater hat sich seither sehr verändert.
Er wurde so still und in sich gekehrt.«
»Das
tut mir leid, Alissandra. Aber was hast du damit zu tun? So etwas kann immer
geschehen.«
»Ich
hatte mich sehr über das kleine Brüderchen gefreut und habe es oft im Arm
gehalten und gewiegt oder bin an seiner Wiege gesessen, als er schlief. Ich
liebte ihn sehr. — Und jetzt ist er tot.« erneut schossen ihr die tränen in
die Augen. Peter streichelte ihre Hände.
»Lisa!
Bitte glaube mir. Du hast damit nichts zu tun. So etwas wie Verwünschungen öder
böse Blicke gibt es nicht. Es ist nicht deine Schuld. Und mir wird auch nichts
geschehen. Schließlich trage auch ich ein Schutzzeichen.« Er deutete auf den
Goldring mit dem durchsichtigen Kristall, der an seinem Halse hing.
»Ich
weiß nicht. Was ist mit der Reise und der Heirat?«
»Ich
bitte dich. Jeder macht irgendwann eine Reise und welchem Mädchen wird nicht
eine Hochzeit mit einem Märchenprinzen geweissagt?« Alissandra hob den Kopf
und sah Peter aus großen, roten, feuchten, zugeschwollenen Augen an.
»Ich
könnte es nicht ertragen, wenn die durch meine schuld etwas zustieße«, sagte
sie und zog die Nase hoch.
»Lisa!
Was du da vorhin gesagt hast. — Ich meine — daß du — mich magst. War das
ernst gem… —«
»Ich
sagte, ›Ich liebe dich, Peter‹ Und das war mein voller ernst.«
»Aber
wieso? Ich meine was…«
»Es
sind nicht deine grünen Augen, nicht dein süßes Lächeln oder die Art wie du
die Augenbrauen hochziehst. Auch nicht deine lustigen Einfälle, oder die
Geschichten, die du erzählst. Es ist — irgendwie — alles zusammen. Ich kann
es nicht beschreiben. Aber als ich dich bei den Steinblöcken sah, da hatte ich
so ein unbeschreibliches Gefühl — ich kann es nicht in Worte fassen. Später
fand ich dich recht — äh — enttäuschend. Aber dann, mit der Zeit, ich
meine, als wir zusammen unterwegs waren, und vor allem als du plötzlich
verschwunden warst —« Peter legte ihr zärtlich den Finger auf den Mund. Sie
verstummt. Ihr Gesicht war heiß aber ihre Hände waren eiskalt; sie schlangen
sich um Peters Hals. Er faßte sie um die Hüfte. Dann berührten sich ihre
Lippen. Erst zaghaft und beinahe scheu, dann heftiger. Sie küßten sich, und es
dauerte eine Ewigkeit. Obwohl er die Augen geschlossen hatte, sah Peter gleißende
Lichter und inmitten Alissandra.
Es
war ein Gefühl, wie er es noch nie zuvor im Leben gespürt hatte. Für einen
Augenblick glaubte er, er müsse sterben, so riß es in seinem Herzen.
Alissandra drückte sich so heftig an ihn, daß er jeden Schlag ihres Herzens spürte.
Er fühlte ihren heißen Atem auf seiner Wange und ihm wurde so heiß, daß er
dachte er müsse gleich schmelzen.
»Bitte
verlaß mich nicht!« flüsterte Alissandra. »Du darfst morgen nicht fortgehen.«
Natürlich dachte Peter nicht mehr daran, jemals wieder von hier wegzureiten —
jedenfalls nicht ohne Alissandra.
In
dieser Nacht — es war inzwischen stockdunkel geworden — waren die beiden
wohl die glücklichsten Menschen Arkaniens.
Später
— viel später — kehrten sie auf die große Wiese zu ihren Mänteln zurück.
Im Licht des Dreiviertelmondes und der funkelnden Sterne setzten sie sich ins
Gras, hüllten sich eng aneinandergeschmiegt in ihre Mäntel und betrachteten
die Sterne und das Glitzern des im Mondlicht silbern schimmernden Flusses im Tal
unten.
Wie
lange sie dort saßen? wer mochte das sagen? Als sie schläfrig und von der
Nachtkälte fröstelnd zum Haus zurückkehrten, fanden sie alle Lichter
erloschen. Callidon und Tamina schliefen bestimmt schon lange.
Alissandra
hielt Peter am Ärmel zurück und flüsterte: »Wir wollen die beiden doch nicht
aufwecken. Die alte Treppe knarrt entsetzlich.«
»Wo
sollen wir dann schlafen?«
»Komm
mit!« Sie schob Peter hinaus in den Garten.
»Das
ist doch nicht dein Ernst!« protestierte er. »Im Stall bei den Viechern?«
»Pssst!«
Im Stall war es stille. Peter zündete eine der Laternen an. Die drei Pferde
lagen ruhig da; nur das Spiel der spitzen Ohren verriet, daß sie wach waren.
Callidons kleiner Esel stand in seiner Ecke und gab ein leises Wiehern von sich.
»Pssst!«
machten Alissandra und Peter gleichzeitig und mußten darob laut lachen.
Sie
bereiteten sich aus Stroh und Heu ein knisterndes und stacheliges Lager. Ihre Mäntel
dienten als Unterlage und Decke.
»Weißt
du noch, wie wir damals im Wirtshaus vor Carlan im Heu geschlafen haben?«
fragte Alissandra. »Und keiner ahnte, daß der andere nur wenige Ellen entfernt
lag.«
»Ja,
aber damals warteten keine weichen Betten mit flauschigen Kissen und molligen
Decken im Haus auf uns.«
»Ich
finde es auch hier ganz mollig«, meinte sie lachend und legte ihren Kopf auf
Peters Brust. Peter streichelte ihr Haar und kraulte sie hinter dem linken Ohr.
»Wenn
du damit fortfährst, fange ich vielleicht noch zu schnurren an«, flüsterte
sie.
Welch
reizvolle Vorstellung!
»Ihr
seid heut’ aber früh aufgestanden«, begrüßte Callidon de beiden, als sie
ihm im Flur begegneten, wie er auf dem Weg zu seiner Morgentoilette war.
»Ja
— wir dachten …«
»Heute
kümmern wir uns um das Frühstück«, ergänzte Peter. Callidon zeigte sich
sehr erfreut über diese Aufmerksamkeit. Er fragte daher auch nicht, warum
Alissandra am frühen Morgen bereits ein Abendkleid trug.
Tamina
sprach kein Wort, aber die Blicke, mit denen sie die beiden beim Essen
abwechselnd musterte, sprachen Bände. Aus der geplanten Unterhaltung mit
Callidon am vergangenen Abend war nichts mehr geworden, daher brannten Peter und
Alissandra darauf, von Callidon endlich mehr über das goldene Zauberschwert
Brunnars des Starken und die alte Legende zu erfahren. Peter hätte überdies
gerne etwas über den geheimnisvollen Talisman erfahren, den er seit seiner
Ankunft am Hals trug.
So
sehr die beiden aber drängten und baten, half es doch alles nichts. Callidon
vertröstete sie auf den Abend, da er den Tag über viel zu tun hatte.
Vormittags arbeitete er in seinem Kräutergarten und streifte durch die Wiesen
und Wälder in der näheren Umgebung, auf der suche nach Pflanzen, Kräutern,
Wurzeln und Mineralien, welche er für die Zubereitung seiner Arzneien und
Wundertränke benötigte. Neben seinem Ruf als bedeutender Zauberer und
Hellseher stand er bei den Menschen im Tale und im weiten Umlande auch als großer
Arzt und Heiler in hohem Ansehen. Da viele der Menschen, einfache Bauern und
Landleute, zu arm waren, um sich einen richtigen Arzt aus der Stadt leisten zu können,
hatte der gutherzige Wundermann nach und nach diese Tätigkeit aufgenommen und
war darin so erfolgreich und beliebt, daß vor einigen Monaten der letzte Arzt
aus der Gegend weggezogen war — aus Mangel an Patienten.
Den
Nachmittag waltete Callidon in seinem Amte als Gemeindearzt im Tale, so daß die
drei Freunde den Tag allein verbringen mußten. Die wenige anstehende Arbeit —
sie bestand im Wesentlichen in der Wartung der Pferde und der Ausbesserung ihrer
Reisesachen — war bald erledigt und so genossen sie die freie Zeit ohne
Verpflichtungen, um sich nach Herzenslust zu entspannen.
Alissandra
und Peter verstanden sich prächtig und tauschten den ganzen Tag über Zärtlichkeiten
aus, was die arme Tamina nicht wenig verdroß. Natürlich versuchte sie, ihre
Verstimmung so gut es ging vor den anderen zu verbergen. Allein, es fällt nicht
leicht, zwei Liebende in seiner Nähe zu ertragen, wenn man selber allein ist
und — bei aller Freundschaft — ein feiner Hauch von Neid und Eifersucht die
Seele zu vergiften droht. Also trennte sie sich bald von den beiden Turtelnden
und suchte die Stille der Einsamkeit um nachzudenken. Im Grunde genommen war nun
endlich eingetreten, was schon lange feststand und worauf in den vergangenen
Wochen ein jeder heimlich gewartet hatte. Allein mit der Liebe ist es so eine
Sache; die läßt sich eben nicht nach Belieben entfachen und wieder abstellen,
wie eine Flamme im Leuchter.
Für
Tamina dauerte der Tag eine halbe Unendlichkeit lang; Alissandra und Peter
empfanden die gemeinsam verbrachten Stunden wie einen kurzen, flüchtigen
Augenblick.
Endlich
kehrte Callidon von den Krankenbesuchen aus dem Dorfe zurück. Nach dem
Abendbrot führte er die drei hinauf in sein Studierzimmer. Er hieß sie, sich
niederzusetzen.
»Ich
kann mir denken, daß ihr sehr gespannt seid, mehr zu erfahren über die
Geschichte von König Brunnar und das Erbe der Königswürde Arkaniens. Ich weiß
nicht wieviel, du inzwischen selbst erfahren hast«, sagte Callidon zu Peter
gewandt. Peter erläuterte ihm was er von Alissandra über das Schwert Thalidon
erfahren hatte.
»Ich
sehe, Alissandra, du hast nicht alles vergessen, was du bei mir gelernt hast.
Die Kraft dieses Schwertes hast du inzwischen bereits kennen gelernt. Die
Tatsache, daß es allein dir gehorcht, Peter, beweist, daß du der Auserwählte
bist.«
»Und
was hat es mit diesem Medaillon auf sich?« fragte Peter und zog es unter seinem
Hemd hervor. Er machte Anstalten, den Verschluß der Kette zu öffnen, als
Callidon ihn warnte: »Nein, Peter! Du darfst dieses Zeichen niemals ablegen;
auch nicht für einen Augenblick. Es ist ein uraltes Schmuckstück — nein, es
ist viel mehr als ein Schmuck. Es besitzt große Kräfte.«
»Aber
wo kommt es her und wie kam es um meinen Hals? Ich kann mich nicht erinnern, es
gefunden oder bekommen zu haben.« Callidon lächelte geheimnisvoll.
»Das
habe ich auch nicht erwartet. Niemand weiß, was es genau bedeutet und woher es
kommt. Aber es ist ein Zeichen, welches jeden Besucher aus deiner Welt ausweist.
In den alten Schriften wird von einem solchen Gegenstand berichtet. Auch König
Brunnar besaß eines. — Es heißt, daß sein träger einen besonderen Schutz
genießt.«
»Heißt
das etwa, ich bin unverwundbar, vielleicht sogar unsterblich?«
»Jetzt
übertreibst du aber!« meinte Alissandra trocken.
»Nein,
das allerdings nicht«, sagte Callidon schmunzelnd. »Es schützt dich vor
Gefahren und Angriffen, aber es kann die Schäden nur begrenzt abwehren und
mildern. Außerdem stärkt es deinen Geist, deinen Mut und deine Entschlußkraft.«
»Das
stimmt. Ich habe schon mehrmals gespürt, wie irgend eine merkwürdige,
unbeschreibliche Kraft von ihm ausgeht; immer dann, wenn ich mich irgendwie
schlecht oder mißmutig gefühlt habe, hat es mir geholfen.« Peter lachte künstlich
und fügte etwas bitter hinzu: »Das heißt also, ohne das Ding wäre ich ein
vollkommener Versager.«
»Nein,
Peter, Liebster! Du bist kein Versager. Sag’ so etwas nicht.«
»Alissandra
hat recht. Es besteht kein Grund, an dir selbst zu zweifeln. Das Zeichen kann
dir keinen künstlichen Mut, auch keine Weisheit verleihen. Aber es hat die
Macht, Vorhandenes zu stärken und schädliche, entgegenwirkende Kräfte zu
abzuschwächen. Außerdem scheint seine Wirkung von verschiedenen Ursachen abzuhängen.
So kann die Stimmung eine Rolle spielen.«
»Faszinierend!
Aber wißt Ihr auch, was diese Schriftzeichen oder Symbole auf dem Ring
bedeuten?«
»Mein
Junge, das ist nicht leicht. Ich vermute, daß es sich um die Sprache der
ehemaligen Bewohner Arkaniens handelt, sie, so weiß es die Sage, aus dem Lande
jenseits der großen Berge im Osten eingewandert waren. — Komm her an die
Lampe. Ich will versuchen, sie zu entziffern.« Peter trat an dem Tisch heran
und kniete vor dem Magier nieder, so daß dieser das Medaillon dicht vor dein
Gesicht halten konnte. Callidon neigte und drehte das kostbare Kleinod im Schein
der Tischlampe; dabei murmelte er unverständliche Worte vor sich hin. Dann
stand er unvermittelt auf und ging hinüber in seine kleine Bibliothek, wo er
mehrere alte, sehr staubichte Bände aus den Regalen zog und in Gedanken
versunken darin blätterte. Es schien, als habe er Peter und die Mädchen
vergessen, die ihm mit neugierigen Augen nachstarrten.
Es
dauerte eine ganze Weile, bis, nachdem Peter sich mehrmals vernehmlich geräuspert
hatte, Callidon mit einem der Bände unter dem Arm zu ihnen zurückkehrte.
»Es
ist«, hub er an, »wie ich mir gedacht habe. Ich kann diese alten Schriften
nicht richtig übersetzen. Sie sind älter als die, welche in meinen Büchern
beschrieben sind. Allerdings gibt es gewisse Ähnlichkeiten, so daß ich
immerhin eine vage Vorstellung habe, was es vielleicht heißen könnte.«
»Ja,
und?« Sechs neugierige Augen starrten den Alten fragend an.
»Eines
der Worte heißt ,Stern‘ oder so ähnlich, ein anderes ,Auskunft‘, den Rest
kann ich nicht entziffern. Auf der anderen Seite steht etwas von ,Mondwasser‘
und ,Jenseits‘, sowie ,Berg‘ und , Baum‘.
Es
tut mir leid, Kinder. Ich kann Euch leider auch nicht weiterhelfen.«
»Schade«,
meinte Peter enttäuscht. »Wie kann ich jemals König werden, wenn ich nicht
einmal weiß, was ich mit diesem Ding anfangen soll?«
»Mein
Junge! Du bist auf dem besten Wege dazu. Das Zauberschwert König Brunnars hast
du bereits an dich gebracht. Seit hunderten von Jahren ist es niemand gelungen,
es aus dem Felsenaltar von Antal zu befreien.«
»Und
wenn das nur ein Zufall war? Ich meine, das ist doch nicht gerade viel, um zum König
geeignet zu sein. Und außerdem hat mich niemand gefragt, ob ich überhaupt König
werden will. Was ist, wenn ich keine Lust mehr habe und nach Hause zurück will?
Bin ich hier gestrandet? und gibt es gar keinen Weg zurück in meine Heimat?«
Callidon runzelte die Stirn. Einen Augenblick lang sah er Peter durchdringend
an, dann sprach er zu ihm: »Wenn du wirklich
zurück willst, dann gibt es einen Weg. Du bist kein Gefangener Arkaniens. Höre
gut zu. Wenn es wirklich dein fester und endgültiger Entschluß ist, zurückzukehren
— bedenke es wohl, die Entscheidung ist eine endgültige — dann geschieht
die mit Hülfe dieses Zeichens. Du mußt es zerstören. Das heißt, du mußt den
Kristall in der Mitte herausbrechen und wegwerfen. Im selben Augenblick wirst du
Arkanien für immer verlassen, und es gibt für dich keinen Weg zurück.«
»Peter!
Du willst doch nicht wirklich fortgehen?« fragte Tamina aufgeregt. Auch in
Alissandras Augen flackerte eine plötzliche Angst auf.
»Nein,
ich denke nicht. Ich meine, ich will mein Bestes versuchen, aber es hat mich
halt interessiert. — Meister Callidon! Wenn ich nach Arkanien kommen konnte, können
Arkanier auch zu uns kommen?« Callidon lächelte geheimnisvoll und sprach: »Gewiß!
Ab und zu waren auch welche dort.« Peter starrte ihn an. Plötzlich dämmerte
es ihm. Callidon gehörte zu jenen Besuchern, die schon einmal drüben gewesen
waren. Seine ungewöhnliche Ausdrucksweise, der Geschmack der Hauseinrichtung
und seine Kleidung — alles ergab auf einmal einen Sinn.
»Wie
habt Ihr das nur angestellt?«
»Na,
na, mein Zauberlehrling braucht nicht schon am ersten Tag alle Geheimnisse des
Meisters zu erfahren«, meinte Callidon schmunzeln und machte eine abwehrende
Handbewegung. Alles Drängen und Fragen half nichts, der alte Meister zeigte
sich in dieser Hinsicht verschlossen wie eine Auster.
»Um
zu deiner Frage zurückzukommen. Wenn du König von Arkanien werden willst, dann
brauchst du außer dem Zauberschwert die restlichen Königsinsignien. Da ist
einmal das mächtige Szepter mit dem blauen Kristall in der Spitze. Es verleiht
seinem Besitzer eine ungeheure Macht über Dinge und Menschen. Wer es besitzt,
der hat die uneingeschränkte Macht im Reich. Wie stark seine Macht wirklich
ist, weiß niemand. König Brunnar hat nur selten Gebrach davon gemacht. Aber im
Vergleich zu ihm ist mein Zauberstab, mit dem du gespielt hast, ein harmloser
Zahnstocher.
Als
drittes benötigst du die Krone mit den zwölf Steinen. Auch sie besitzt eine
besondere Kraft. Sie verleiht ihrem Träger die Würde und Weisheit und
Einsicht, deren er zur Herrschaft bedarf. Erst wenn die drei Insignien vereint
sind, kannst du zum rechtmäßigen König von Arkanien gekrönt werden.«
»Und
wo finde ich Szepter und Krone?«
»Das
ist kein Geheimnis; ihr Aufenthaltsort ist allgemein bekannt. Es wird dir sicher
gelingen, früher oder später in ihren Besitz zu gelangen.«
»Ja,
aber dann könnte doch jeder König werden«, meinte Alissandra enttäuscht.
»Als
König Brunnar kurz vor seinem Tode die Insignien getrennt hatte, war ihm wohl
bewußt, daß das Versteck dieser auffälligen Gegenstände nicht lange würde
verborgen bleiben. Also trug er selber Vorsorge. Das Schwert schützte sich
selber. Nachdem er es in dem Felsblock gestoßen hatte, konnte niemand außer
ihm es herausziehen. Das Szepter verwahrte er in der Schatzkammer seines
Schlosses am Meer. Aber den blauen Kristall entfernte er aus seiner Fassung und
ließ ihn an einem unbekannten Ort verwahren. Ohne den Kristall hat das Szepter
keine Macht. Der Kristall allein besitzt zwar eine ungeheure Kraft, aber ohne
das Szepter kann man sie nicht bändigen und er ist zu wenig nutze, aber
trotzdem sehr gefährlich — besonders wenn er in die falschen Hände gerät.
Den blauen Kristall außerhalb des Szepters benutzen zu wollen, hieße eine
ungeheure Macht zu entfesseln, die gewaltige Vernichtungskräfte freisetzen könnte.«
»Wo
finde ich König Brunnars Schloß?«
»Da
brauchst du nicht hin. Das Schloß ist seit langem verlassen und halb zerfallen.
Das Szepter hat der Regent Tiras vor langer Zeit in seinen Palast gebracht. —
Keine Angst, es ist ihm noch nicht gelungen, den blauen Kristall zu finden. Nach
ihm läßt er seit über zwanzig Jahren in jedem Winkel des Landes fahnden.
Allerdings gibt es Gerüchte, wonach es nicht mehr lange dauern wird, bis er es
entdeckt haben wird, denn er hat sich zwei Zauberer in den Palast geholt, welche
den Kristall für ihn suchen sollen.«
»Zauberer?«
Alissandra staunte. »Ich dachte, Ihr seid der letzte.«
»Nicht
ganz, mein Kind. — Leider! es gibt noch den einen oder anderen bösen Magier.
Tiras beschäftigt zwei von denen. Kalorim ist der eine. Er ist schlau und ein
ziemlich windiger Kerl. Mit seiner Zauberei ist es aber nicht weit her. Das bißchen,
was er kann, hat er von mir gelernt, bevor ich ihn hinauswarf. Aber das ist
schon lange her. — Die andere heißt Verdel. Sie ist eine Hexe. Vor ihr müßt
ihr euch sehr in acht nehmen. Sie ist nicht nur viel mächtiger als Kalorim, sie
ist ein wahrer Teufel. Gegen sie ist Kalorim ein törichter Schulknabe.«
»Das
sind ja reizende Aussichten«, brummte Peter. Von Zauberern und unheimlichen
Dingen hatte er genug. Der Gedanke, sich mit zwei zaubermächtigen Bösewichtern
auseinandersetzen zu müssen behagte ihm ganz und gar nicht.
»Ihr
erinnert euch an die ,Schatten‘ des Regenten. Sie waren ein Werk Verdels. Sie
hat dazu wahrscheinlich das Szepter benutzt.«
»Aber
ich denke, das taugt ohne den Kristall zu nichts«, warf Tamina ein.
»Ich
vermute, sie hat einen schwarzen Ersatzkristall hergestellt. Natürlich ist
dessen Kraft begrenzt, nur ein Bruchteil dessen, was der echte blaue Kristall
vermag. Mit seiner Hülfe könnten sie richtige unbesiegbare Soldaten in
beliebiger Zahl hervorbringen. Wenn es ihnen gelingt, ihn in ihren Besitz zu
bringen, dann ist Arkanien verloren!«
»Wie
furchtbar. Und wieviel Zeit haben wir noch, ihnen zuvor zu kommen?« fragte
Alissandra.
»Wer
weiß? Monate, Wochen, oder nur noch ein paar Tage.«
»Könnt
Ihr uns nicht helfen, den blauen Kristall zu finden? Ich meine, mit Eurer
gewaltigen Zauberkraft und Erfahrung müßten wir gegenüber dem Regenten und
seinen Spießgesellen im Vorteil sein«, sagte Peter. Callidon fühlte sich sehr
geschmeichelt und versprach, sein Bestes zu geben.
»Was
ist mit der Krone?« fragte Alissandra. »Hat Tiras die etwa auch?«
»Nein,
die Krone findet ihr in der alten Sternstadt im Osten. Nach den alten Sagen soll
auch dieses Land einst zu Arkanien gehört haben, bevor sich das Gebirge erhob.
Sternenstadt, wie sie auch genannt wird, war einst die ehemalige Hauptstadt Groß-Arkaniens.«
»Moment
mal!« protestierte Peter. »Was heißt ›bevor sich das Gebirge erhob‹?
Berge brauchen viele Millionen Jahre um zu wachsen und zu verschwinden. Wir
haben das in der Schule im Erdkundeunterricht gelernt.«
»Peter!
Es ist nur eine alte Sage. Außerdem sind wir in Arkanien. Hier gelten andere
Gesetze. Aber das ist nicht so wichtig. Mit der Krone allein ist es ohnehin
nicht getan.«
»O-O!
Mir schwant Böses!« sagte Peter. »Ich wette, ich muß auch noch die zwölf
Edelsteine suchen, die Brunnar vorsichtigerweise herausgenommen und im ganzen
Land verteilt hat.«
»Ich
sehe, Peter, du bist sehr gescheit und hellmerkig. — In der Tat ist die Krone
nur vollständig, wenn alle zwölf Edelsteine vereint sich an ihrem Platze
befinden. — Wartet! — Vielleicht finde ich irgendwo eine Zeichnung.« Er
begab sich erneut zu dem Bücherschrank, wo er einen um den anderen der brüchigen
Bände herausnahm, durchblätterte und wieder zurückstellte.
»Hier
ist es doch. Ich wußte, daß ich irgendwo ein Buch habe«, rief Callidon über
seinen Fund höchst erfreut. Er trug einen großformatigen Folianten, den er
aufgeschlagen auf den Tisch legte. Neben einem Portrait des alten Königs
Brunnar — er hatte einen mächtigen weißen Bart, buschige Augenbrauen und
klare, helle Augen — waren die drei Reichsinsignien abgebildet.
Das
Schwert erkannte Peter sofort. Er zog es hervor und legte es neben das Buch auf
den Tisch. Das Szepter und die Krone sah er zum ersten Male. Das Szepter war
ungefähr vierzig Zentimeter lang, von achteckigem Querschnitt, oben und unten
gerundet. An dem oberen Ende, welches keulenförmig anschwoll, befand sich eine
Fassung aus vielen kleineren Edelsteinen, die einen mächtigen wie ein Diamant
geschliffenen Stein trug: der blaue Kristall. Er hatte etwa die Größe eines Hühnereies.
Die
Krone war sehr schlicht gearbeitet. Sie bestand aus einem breiten, gepunzten und
mit zahlreichen Ornamenten ziselierten Goldreifen, von dem vier geschwungene Bügel
aufstiegen und in einer von einem kugelrunden Edelstein gekrönten Spitze
zusammenliefen. Auf dem Reifen waren in regelmäßigen Abständen Steine von
unterschiedlicher Größe, Farbe und Form eingelassen.
In
bezug auf die Pracht und Kunstfertigkeit konnte sie es nicht mit anderen berühmten
Kronen aufnehmen, dennoch strahlte sie eine erhabene Würde aus, die sie über
jeden kostbaren Schnickschnack und prunksüchtigen Tand emporhob.
Während
die Mädchen und Peter sich über das Buch beugten, wog Callidon ehrfürchtig
das goldene Schwert in Händen und betrachtete es ganz genau.
»Zwei
Dinge sind jetzt wichtig«, sprach er schließlich. »Das Szepter und der
Kristall. Der Kristall ist im Palast des Regenten in Tirania.«
»Wie
sollen wir da nur hineinkommen?« fragte Alissandra. »Die Hauptstadt ist stark
befestigt und von mehreren Festungen und Garnisonen umgeben. Wir bräuchten ein
gewaltiges Heer um sie zu erobern.«
»Das
haben wir aber nicht. Und um es auszuheben, brauchen wir viel, viel Zeit und
Geld, was wir beides nicht haben.«
»Wir
könnten uns in den Palast einschleichen und das Szepter stehlen«, schlug
Tamina vor. Ihr Vorschlag erntete skeptische Blicke von den anderen.
»Wie
stellst du dir das vor?« Alissandra lachte. »Wir würden sofort erkannt
werden. Außerdem liegt das Ding bestimmt nicht einfach herum. Es ist sicher
unter strenger Bewachung eingeschlossen.«
»Ich
finde, Tamina hat recht. Niemand kennt sie und mich. Da es in Arkanien weder
Fernsehen noch Zeitungen gibt, wissen nur wenige wer wir sind. Wenn ich mich ein
wenig verkleide, mir vielleicht einen falschen Bart anklebe, oder so, dann könnten
wir im Palast umherspazieren, ohne daß jemand ahnt, wer wir sind. Vielleicht
gelingt es mir sogar, mich als Diener einstellen zu lassen oder als Wächter.
Dann könnte ich im Palast ein- und ausgehen. Auf diese Weise werde ich bald
herausbekommen, wo das Szepter aufbewahrt wird. Ein paar geschickte Fragen hier,
ein kleines Schmiergeld da, und zur rechten Zeit das Ohr an der Tür.«
»Wenn
sie euch erwischen, dann hauen sie euch die Köpfe ab, ohne mit der Wimper zu
zucken. Das geht ruckzuck mit dem scharfen Henkersbeil.« Alissandra machte eine
entsprechende Handbewegung. Tamina schluckte leer und sah Peter aus großen
Augen an.
»Hast
du einen besseren Vorschlag?« fragte Peter.
»Die
Idee von Tamina ist gar nicht so übel«, meinte Callidon nachdenklich. »Wenn
ihr erst einmal das Szepter besitzt, dann habt ihr genug Zeit, den Kristall zu
suchen. Die größte Gefahr ist dann vorläufig gebannt. Selbst wenn der Regent
den blauen Kristall bekommen sollte, so könnte er vorderhand nichts damit
anfangen. Wir hätten damit Zeit gewonnen. Die könntest du nutzen, Peter, um
deine Truppen aufzustellen. Wenn sich die Aufständischen von Carlan mit den
Rebellen aus dem Norden vereinigen, dann sieht es für Tiras schlecht aus.«
»Wie
gehen wir am besten vor, Peter?«
»Ich
denke, das Beste wird sein, wenn Tamina und ich uns in die Hauptstadt begeben, während
Wilo von Carlan aus versucht, mit den Rebellen im Norden Kontakt aufzunehmen.«
»Und
was wird aus mir?«
»Du
bleibst hier bei Callidon, wo du in Sicherheit bist, genau so wie ich es deinem
Vater versprochen habe.«
»Wieso
darf Tamina mit in den Palast? Denkst du etwa, das sei ungefährlich?«
Alissandra geriet in Hitze.
Peter
überlegte, dann sagte er: »Du hast recht, Alissandra. Ich glaube, ich komme im
Palast allein zurecht. Tamina wird bei dir bleiben. Natürlich nur, wenn es Euch
recht ist, Meister Callidon.« Callidon war es sehr recht.
»Augenblick
mal!« protestierte Tamina. »Ich denke, ich habe hierbei auch ein Wort
mitzureden. Es ist mein freier Entschluß, in den Palast zu gehen. Ich weiß, daß
es gefährlich wird, aber ich denke nicht daran, hier ruhig rumzusitzen, während
meine Freunde sich in Gefahr begeben. — Außerdem kenne ich mich gut in der
Hauswirtschaft aus und kochen kann ich auch nicht schlecht. Ich glaube, daß ich
eher eine Anstellung bei Hofe bekommen werde als du, Peter.«
»Tamina
hat ganz recht. Und wenn sie geht, dann gehe ich auch!« Alissandra sah Peter
triumphierend an.
»Bist
du verrückt? Dich würde man im Palast sofort erkennen. Das kommt gar nicht in
Frage!«
»Dann
gehe ich nach Carlan zu Wilo. Und von dort aus weiter in den Norden, auf die
Suche nach meinem Bruder. — Nein, du brauchst mir gar nicht zu widersprechen,
Peter! Mein Entschluß ist fest.« das mußte auch Peter einsehen, dem nichts übrig
blieb, als zähneknirschend zuzustimmen. Er hatte seine Lehren aus der
Vergangenheit gezogen. Alissandra etwas auszureden war etwa so als wolle man
einem Löwen die Schmackhaftigkeit von Salat erklären.
Immerhin
hatte er Vertrauen zu Wilo. Dieser würde gut auf sein Alissandra acht geben.
Vielleicht sogar etwas zu gut …
»Warum
hast du es eigentlich so eilig, Wilo wiederzusehen?« fragte er betont beiläufig.
»Weil
er so stattlich und stark ist … — Nein, Peter. Du weißt doch, daß ich
immer nur dich lieben werde.« Sie drückte
ihren Peter und gab ihm einen Kuß auf die Wange. Peter bekam rote Ohren, Tamina
wandte sich diskret ab und Callidon schmunzelte still in seinen Bart hinein.
»Wann
soll es losgehen?« fragte Callidon.
»Wir
müssen noch einiges vorbereiten. Ich würde sagen, in zwei oder drei Tagen, spätestens
am Freitag«, erwiderte Peter und hielt Alissandras Hand unter dem Tisch fest.
Die
vier besprachen noch weitere Einzelheiten ihres Planes, bevor die schließlich
Callidon eine gute Nacht wünschten und sich zurückzogen.
Am
anderen Morgen mußten sie früh aus den federn. Es gab vieles zu richten und für
die bevorstehende reise vorzubereiten. Kleider mußten gewaschen und eingepackt
werden, Sattel- und Zaumzeug geputzt und ausgebessert werden, Proviant und
Futter für die Pferde eingekauft werden. Peter beabsichtigte, einige einfache,
gebrauchte Kleidungsstücke zu erstehen. In seiner prächtigen Aufmachung, ja
selbst in seinem gewöhnlichen Reiseanzug würde er auffallen und könnte
niemals für einen arbeitssuchenden Knecht oder Knappen gelten.
Die
Vorbereitungen nahmen fast den ganzen Tag in Anspruch. Peter setzte sich an den
Tisch im Eßzimmer und schrieb einen ausführlichen Brief an Wilo, in welchem er
die neue Sachlage und ihren Plan erläuterte. Des Weiteren gab er ihm
Anweisungen für die Verhandlungen mit den Rebellen. Sobald die Lage in Carlan
sich beruhigt hätte und eine stabile Ordnung sich wieder in der Stadt etabliert
hätte, solle er sich persönlich auf den Weg nach Norden machen und mit den
Verbindungsleuten Kontakt aufnehmen. Was Alissandra anbetraf, so solle er alles
versuchen, sie in Carlan festzuhalten. Andererseits konnte Peter sich nicht
vorstellen, daß sie die Aussicht auf ein neues Abenteuer in den Bergen und ein
Wiedersehen mit ihrem seit Jahren verschollenen Bruder in der Stadt ausharren
lassen würde.
Callidon
hatte sich in sein Studierzimmer zurückgezogen, wo er den ganzen Tag
verbrachte. Er hatte die Tür hinter sich abgeschlossen und sich jede Störung
streng verbeten. Nicht einmal zum Essen leistete er den drei Freunden
Gesellschaft. Tamina mußte ihm das Essen auf einem Tablett vor die Tür
stellen. Als sie es später abholen kam, sah sie, daß er die Speisen kaum angerührt
hatte, sondern nur einige hastige Bissen von allem gekostet hatte.
Mehrere
Male bleiben sie, Peter und Alissandra vor der verschlossenen Tür stehen und
horchen, wenn sie im Innern Stimmen vernahmen, oder auch nur ein Stöhnen.
Keiner aber wagte, an der Tür zu klopfen oder den Meister anzusprechen.
Callidon versuchte nämlich, unter Aufbietung aller seiner hellseherischen Kräfte
und magischen Künste, den blauen Zauberkristall zu lokalisieren.
»Ob
er wohl in seine Kristallkugel schaut?« fragte Tamina.
»Oder
Geister aus dem Jenseits beschwört?« unkte Peter und schnitt eine Grimasse. Er
konnte es halt nicht lassen.
Endlich
waren alle Einkäufe getätigt, alle Reparaturen erledigt und der größte Teil
des Gepäcks verschnürt und in den Satteltaschen verstaut worden. Callidon ließ
verlauten, daß es noch eine Weile dauern würde, wahrscheinlich die ganze
Nacht. So nahmen die drei ihr Abendbrot allein zu sich. Später spazierten sie
im Garten und auf der großen Wiese. Tamina, die merkte, daß die beiden
Liebenden gern allein wären, ließ sich bald entschuldigen und trennte sich von
ihnen.
Alissandra
war sehr schweigsam, und auch Peter hatte eigentlich keine Lust zu sprechen. So
gingen sie Arm in Arm nebeneinander und genossen die vertrauliche Zweisamkeit in
der milden Abenddämmerung.
»Warum
ist das Schicksal nur so grausam zu uns?« sprach sie auf einmal mit leiser
Stimme.
»Was
meinst du damit?«
»Kaum
haben wir zueinander gefunden, da müssen wir bereits wieder auseinander gehen.«
»Aber
Lisa! Es ist doch nicht für lange. In ein paar Wochen sehen wir uns wieder.«
Peter streichelte ihr kühles, glänzendes Haar.
»Aber
wenn sie euch entdecken und gefangen nehmen …«
»Denk
nicht an so etwas. Alles wird gut gehen. Vertraue mir. Und selbst wenn sie uns
festsetzen sollten. Ich habe doch mein Zauberschwert und das Schutzzeichen, und
ich weiß, daß du wie eine Löwin ihre Jungen verteidigt, mir mit Wilo und
seinen Leuten zu Hilfe eilen wirst.«
»Ja,
mein Peterchen! Ich werde sie alle vernichten, die es wagen, dir auch nur ein
Haar zu krümmen.« Sie schmiegte sich eng an ihn und bedeckte seinen Hals mit zärtlichen
Küssen.
»Ist
Callidon schon auf?« fragte Peter beim Frühstück. Tamina schüttelte den Kopf
und sagte: »Nein, er schläft, glaube ich. Er war die ganze Nacht auf. Für
einen Herrn in seinem Alter ist das nicht gesund.«
»Ich
werde nachher ins Dorf reiten. Braucht ihr noch irgend etwas?«
»Peter,
bringst du mir zwei Stück Seife mit? Ich habe sie gestern vergessen. Und etwas
festes, weißes Garn«, rief Alissandra aus der Küche.
Peter
sattelte Mondenglanz und führte sie aus dem Stall.
»ich
muß mich wieder etwas besser um dich kümmern, meine Kleine. Deine Mähne ist
ganz zerzaust. Vielleicht kann ich im Dorf einen Mähnenkamm auftreiben«,
sprach er zu dem Pferd. Er versuchte aufzusteigen, blieb aber auf halbem Wege
stecken. »Hoppla! Das schwere Ding ist auch immer im Weg!« sagte er und
schnallte sein Schwert ab. Er befestigte es am Sattel, wo er es unterwegs für
gewöhnlich zu verstauen pflegte.
Im
flotten Trab machte er sich auf den Weg. Wenn er sich beeilte, käme er noch
rechtzeitig auf den Markt. Die besten Sachen gehen schnell weg, hatte Tamina ihm
gesagt.
Auf
dem Markt war wenig los. Überhaupt lag das ganze Dorf still und beinahe
menschenleer da. Vielleicht war ja auch irgend ein Feiertag, oder die Leute
gehen erst später einkaufen, dachte er und war froh, daß er seine Besorgungen
rasch erledigen konnte. Gegen zehn Uhr war er bereits wieder zurück. Er fand
die beiden Mädchen im Hof, wo sie ihre Pferde putzten.
»Hast
du alles besorgen können?« fragte Alissandra.
»Ja,
ich habe auch an das Nähgarn gedacht. Ich habe eine extra große Rolle gekauft.«
»Hast
du die Seife nicht vergessen?«
»Oh,
nein!« schimpfte Peter. Er ärgerte sich maßlos. Jetzt konnte er noch einmal
ins Dorf reiten. Die ganze eingesparte Zeit war flöten gegangen.
»Ach,
Peter! Ich hatte dich doch besonders darum gebeten.«
»Ist
schon gut, ich gehe noch einmal«, seufzte er.
»Nein,
laß nur. Ich gehe selber. Leihst du mir Mondenglanz? Ich bin gerade erst mit
dem Putzen fertig geworden und Wirbel wird so leicht staubig.«
»Kein
Problem. Ich kümmere mich um ihn.« Alissandra lächelte Peter strahlend an und
schwang sich ohne die Bügel zu benützen sportlich in den Sattel.
»Ich
bin gleich zurück!« rief sie und galoppierte davon.
Ein
Schrei ließ Peter und Tamina erschrocken zusammenfahren. Ein Fenster wurde
aufgerissen und das zerzauste weiße Haupt Callidons erschien im Rahmen.
»Heureka!«
rief er. »Ich hab’s gefunden! Kommt nauf, Kinder!« Die beiden sahen sich an
und ließen alles stehen und liegen und stürzten ins Haus.
Wirbelwind
nutzte die Gelegenheit, sich wohlig im taufrischen Gras zu wälzen, während
sein Kamerad Anatol im sehnsüchtig dabei zusah, denn er war am Gartenzaun
angebunden und konnte sich derlei Vergnügung nicht hingeben.
»Meister
Callidon, weißt Ihr jetzt, wo der Zauberkristall versteckt ist?« fragte Tamina
aufgeregt. Callidon nickte und nahm einige eng beschriebene Blätter vom Tisch.
»Ich
erhielt verschiedene Botschaften und Gesichte, die ich einfach nicht richtig
deuten konnte«, erklärte er. »Wo ist Alissandra?«
»Die
muß noch etwas im Dorf besorgen« antwortete Peter.
»Also,
wie gesagt. Ich konnte mit dem, was ich gesehen hatte, nicht viel anfangen. Als
ich endlich vor Erschöpfung eingenickt bin, da hatte ich einen sonderbaren
Traum: Ich sah eine Höhle und einen Wald und einen spitzen Felsen. Und da kam
mir die Erleuchtung. Ich weiß, welche Höhle das ist. Sie liegt gar nicht weit
von hier. Sie ist etwa eine Tagesreise von der Hauptstadt entfernt, nordöstlich
und befindet sich in einer Gegend, die von den Menschen gemieden wird. Mann
nennt die Gegend den ,Lichterwald‘. Dort irgendwo im Wald liegt eine Felsenhöhle.
Ich bin sicher, daß Brunnar den Kristall dort versteckt hat. Ich habe die
Gegend hier auf dieser Karte eingezeichnet. Ihr findet darauf auch den kürzesten
Weg in die Hauptstadt markiert.« Callidon war ganz außer Atem vor Aufregung.
»Das
ist ja phantastisch!« rief Peter. »Ich kann es gar nicht erwarten, Alissandra
davon zu erzählen.«
Dazu
sollte Peter aber nicht mehr kommen. Alissandra kehrte nämlich nicht mehr aus
dem Dorfe zurück. Als mehrere Stunden vergangen waren, ritt Peter selber hinab
in den kleinen Ort; aber er fand keine Spur, weder von dem Mädchen noch von
Mondenglanz. Von den Leuten, die er fragte, hatte keiner sie gesehen. Egal wo er
suchte, egal wen er fragte, Alissandra blieb verschwunden.
© 2002 FIE. All rights reserved. - Stand: 24. Februar 2002 02:32 |